Freitag, 12. Dezember 2014

16 Ich bin alt

Ich sitze beim Coiffeur.
Die sehr nette, sehr hippe und sehr redegewandte Coiffeuse fragt, ob sie mich duzen darf. Klaro, bin ja nicht von vorgestern! Und ausserdem sind wir so ziemlich auf einer Wellenlänge, sprechen über unsere Pläne für Sylvester, unsere Lieblings-Bars in Zürich, die neusten Pop-Hits am Radio. Zwei junge Frauen halt. Dann wäscht sie mir die Haare und schaut mir dabei bewundernd ins Gesicht.
"Hey, dis Nasepiercing isch meeeeegaa cool, wo häsch das mache lah?"
Ich so: "Weiss gar nicht mehr, ist schon 20 Jahre her."
Schweigen.
Dann die Coiffeuse so: "Hihi, echt? Da war ich noch gar nicht auf der Welt!"

Cool. You made my day, merci! Nun bin ich also offiziell ALT!!  Eine gepiercte OMA!!!
Darf man in meinem Alter eigentlich überhaupt noch ein Loch in der Nase haben?? Und das im Bauchnabel?? Muss das auch weg?? 
Keine engen Jeans mehr?? Keine Turnschuhe?? Wird's jetzt langsam Zeit für Krause-Senn und C&A?? Badeanzug statt Bikini?? 
In die Ferien mit dem Rollkoffer statt mit dem Rucksack?? Familienhotel statt Airbnb??
Nur noch Kino und gemeinsam Kochen mit Freunden statt feuchtfröhliche Gelage im Club??

Oh Gott, bin ich etwa langsam peinlich, so wie diese Mütter, die sich mit Mitte 50 endlich scheiden lassen und dann wieder mit der Teenie-Tochter in die Disco wollen, so mit Hotpants und Bauchfrei-Top???!!!

NICHT. LUSTIG!!!

Das muss ich die Coiffeuse das nächste Mal fragen, wenn ich wieder zu ihr gehe, damit sie mir die grauen Haare überfärbt. 

Donnerstag, 13. November 2014

15 Fuck you, biologische Uhr!

Alle Jahre wieder.
Ich geh zu meiner Frauenärztin zur Kontrolle, und dann am Schluss, kurz bevor ich aufstehen und gehen will, kommt dieser ernste Blick über den Brillenrand und die Frage:
"Frau Bitterbös, wie gseht's dänn jetzt uus mit Chind bi Ihne?"
Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie hat mit dieser alljährlichen Frage begonnen, als ich so knapp über 30 war. Und seither wird sie jedes Jahr drängender. Also, die Frage, mein ich. Gut, die Frauenärztin eigentlich auch.

Sie weist mich sanft aber bestimmt darauf hin, dass meine biologische Uhr langsam abläuft. 

Nun, glücklich die Frauen, die auf diese Frage ohne zu Zögern mit "Ui, Chind? Neeeeiiii, danke, ganz sicher nöd ich!!" beantworten können, denn sie müssen keinen weiteren müden Gedanken mehr daran verschwenden. 
Glücklich auch diejenigen, die voll überzeugt "Ja, klar, unbedingt!" sagen können, denn sie haben wohl eh schon ein paar Kids zu Hause und nehmen jetzt vielleicht noch ihre letzte Chance wahr. 
Unglücklich aber die Frauen, zu denen auch ich mich zähle. Denn sie antworten auf diese Frage mit: "Jeeiiiiinnn, aso, villicht, aso, ich weiss nöd... glaub scho. Aber nöd unbedingt. Glaub's."

So bis 30 war Mutter werden für mich ein absolutes No-Go. So ein Klotz am Bein, gaht's no?? Ich will frei sein!
Ich arbeite viel und zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten des Tages. Ich tingle jedes Jahr durch die Weltgeschichte, flieg mal hier hin, mal da hin, mal kurz, mal lang. Ich habe aufwändige Hobbies, ich investiere mein Geld gerne in neue Kleider und Schuhe und Möbel, ich geh aus, wenn ich grad Lust hab, ich probiere dauernd irgendwas Neues aus, ein Sprachkurs hier, ein Tanzkurs da, und wenn ich frei hab, lieg ich auch einfach mal den ganzen Tag nur im Bett - kurz: ich führe ein egoistisches Leben ohne grosse Rücksicht auf andere und mache meistens, was mir grad passt. Das aufzugeben oder zumindest für eine gewisse Zeit hintenan zu stellen, fiele mir wohl nicht ganz so leicht. 
Aber heute, wo ich unweigerlich auf diese magische Grenze von 40 zugehe, wo mir in Punkto Kinderkriegen das Wasser schon bis zum Hals steht, ist mir klar: das ist alles vergänglich. Und proportional zu meinem Alter wächst auch das Verlangen nach etwas, das bleibt. Nach einem Abenteuer, das etwas länger anhält als gewohnt. Nach dem Weitergeben. Es muss nicht mehr alles ständig neu und ungewohnt und unverbindlich sein. Mit Mitte 30 und ein bisschen mehr schwindet bei mir langsam diese Panik vor der Biederkeit, der Langeweile und dem Stillstand. Ich hab Freude an meinem Gottemeitli, ich wüsste einen Namen für meine Tochter. Ok, Haus auf dem Land, Familienhotel und Aneinanderkleben gehen wirklich immer noch nicht, aber ich bin überzeugt, dass man Kinder auch anders grossziehen und sich einen Teil seiner Freiheit und Unabhängigkeit bewahren kann. Ja, vielleicht wär ich also bereit. Glaub's.
Kommen wir also zum eigentlichen Problem in dieser ganzen Sache und damit zum alljährlichen Standard-Anschlusssatz meiner Frauenärztin, der jeweils gleich auf die obige Frage folgt: "Wänn Sie jetzt dä richtig Partner händ, Frau Bitterbös, dänn warted Sie nöd länger!" 
Tja, der "richtige" Partner war in all den Jahren der Hinweise auf meine schwindende Fruchtbarkeit halt eben noch nicht dabei. 
Ansonsten gab es aber schon sämtliche Variationen: Männer, die Kinder wollten, aber nicht mit mir. Männer, die Kinder wollten, aber ich nicht mit ihnen. Männer, die keine Kinder wollten, aber mich auch nicht. Männer, die keine Kinder wollten, aber ich sie auch nicht. Und das häufigste Exemplar: Männer, die eigentlich schon vielleicht ganz gerne Beziehung und Kinder wollten glaub's, aber halt irgendwann mal und bloss nicht jetzt und bloss nicht so und überhaupt am liebsten gar nichts dafür ändern wollen im Leben und irgendwann kommt eh noch was Besseres. 
Das heisst, diese Exemplare befinden sich immer noch in diesem Zustand wie ich damals mit 30, sind aber gut und gerne schon 10 Jahre drüber.

In dieser verfahrenen Situation steh ich nun also zwei möglichen Lösungsansätzen gegenüber:

Lösungsansatz 1: Ich entscheide mich ALLEIN für ein Kind und lass den Mann nach der Zeugung einfach weg. 
Ja, bestimmt, so stell ich mir das Muttersein auch vor: alleinerziehend von Beginn weg! Die ganze Arbeit lastet auf mir! Ausserdem finde ich, ich bin meinem Kind einen anständigen, anwesenden Vater schuldig. Oder was soll ich dem Youngster dann später mal sagen? "Sorry, Schatz, häsch du kein richtige Papi. Aber er hät dich halt gar nie welle." 
Ähä.  
Lösungsansatz 1 fällt weg.

Lösungsansatz 2: Ich entscheide mich halt definitiv GEGEN ein Kind.
Fällt auch weg. Wenn ich das könnte, hätte ich es ja schon längst getan.

Scheisse.
Mann, die biologische Uhr ist aber auch so ein UNFAIRES ARSCHLOCH, echt!!!!!!!

Ich will verdammt nochmal auch so sein wie diese "Ich will ja schon aber nicht jetzt wääähhh Verantwortung"-Männer! Mich nicht entscheiden müssen!! Mir schön Zeit lassen mit dem Reifen, mit dem Hörner abstossen und so, denn ich kann mir ja dann mit 55 noch eine 25-jährige schnappen und mit der Kinder zeugen! Easy peasy, bloss keine Eile!!!
Das ist einfach voll fies!! Männer müssen sich nicht jedes Jahr beim Urologen wieder diese nervige Frage nach der Familienplanung anhören, ihnen wird nicht dauernd der Rückgang ihrer Fruchtbarkeit statistisch vorgerechnet! Und sie gehen dann auch nicht nach Hause und zerbrechen sich den Kopf darüber, was man im Leben wohl mal mehr bereut: Ein Kind zu kriegen oder kein Kind zu kriegen?

Fuck you, biologische Uhr, FUCK YOU VERY MUCH!!!!!!





Mittwoch, 29. Oktober 2014

14 You're so arty!

Ein ganz normaler Smalltalk in einer Bar oder an einer Party in Zürich:

"Und was machst du so?"
"Oh, ich arbeite im Büro einer Anwaltskanzlei, aber eigentlich bin ich Künstlerin, weisch. Ich male und schreibe Gedichte."
"Und du?"
"Ich bin DJ. Ich lege in verschiedenen Clubs auf. Aber ich jobbe zur Zeit auch noch in einer Bar."
"Ich arbeite an der Rezeption eines Hotels. Also, eigentlich bin ich Schauspielerin. Eigentlich."
"Ah, ich auch! Aber grad arbeitslos. Morgen geh ich an ein Casting, drückt mir die Daumen! Ist für einen Werbespot, gutes Geld!"
"Vielleicht engagier ich euch mal, haha! Ich bin Regisseur."
"So cool, Regisseur! Ich kenn ja den Michael Steiner persönlich, weisch, ist ein Freund von mir. Voll easy, der Typ."
"Glaub ich. Ich hab grad einen Kurzfilm abgedreht, aber jetzt brauch ich noch einen Cutter, der mir alles zusammenschneidet. Kennt ihr zufällig jemanden?"
"Hey, das könnte ICH machen! Ich bin nebenbei noch so ein bisschen Videokünstler, ich kenn mich aus!"
"Cool, gib mir doch mal deine Telefonnummer! Und du übrigens kommst mir irgendwie bekannt vor... Schauspielerin?"
"Ich? Nein, nein! Marketingplanerin. Aber vielleicht hast du ja meinen Mode-Blog gelesen...?"
"Wow, du musst unbedingt mal über mich schreiben, ich bin Designerin! Ich bau mir grad mein eigenes Label auf, weisch...!"
"Hey, kommt doch alle nächste Woche ins Dynamo! Ich stell dort meine Bilder aus!"
"Du malst auch?"
"Nein, ich fotografiere. Ich hab ein gutes Auge, ich bin Optiker, haha!"
"Cool, also, ich komme bestimmt! Ich liebe Vernissagen! Kostet es Eintritt?"
"15 Franken."
"Ou, das ist aber recht teuer! Ich hab eben grad keinen Job, weisch. Ich will mich voll auf das Singen und Songs schreiben konzentrieren. Nächstes Jahr nehme ich mein Debut-Album auf."
"Ich kann dich sonst gern mal anhören, wenn du willst."
"Du bist Musikproduzent?"
"Grafiker. Aber ja, ich mach ein bisschen meine eigenen Mixes und so. Und ich kenn Roman Camenzind, weisch, den Produzenten von Baschi..."
Ich bin ja immer wieder überwältigt, wieviele Künstlerinnen und Künstler wir in dieser Stadt haben. Alle singen, tanzen, schreiben, malen, fotografieren und schauspielern. Also, nicht nur, denn man muss sich sein Leben ja auch noch irgendwie finanzieren, und das geht halt meist nur mit einem normalen, total unglamourösen Job. Aber egal, alle sind nebenbei noch auf irgendeine Art kreativ, weil es sie glücklich macht und erfüllt - oder weil sie beim Smalltalk im Ausgang in Zürich mithalten wollen. 
Mir kommt bei solchen Gesprächen mit dem Wein- und/oder Bierglas in der Hand ja immer dieses Lied von Franz Ferdinand in den Sinn: "Here we are at the transmission party. I love your friends, they're all so arty..." Ja, Künstler-Freunde sind ja wirklich soooo cool! Mit einem Buchhalter oder einer Kassiererin kann man sich ja schliesslich nicht unterhalten! Nein, wer nicht noch in irgend einer Art kreativ ist in seinem Leben, keinen Drang hat, sein wahres Ich in irgendeinem schöpferischen Prozess auszudrücken, wer keine bedeutungsschwangeren, emotionsgeladenen Outputs, materiell oder virtuell, vorweisen oder solche wenigstens unglaublich klug und in schwurbligen, völlig unverständlichen Sätzen, gespickt mit hochintellektuellen Fachausdrücken kommentieren kann, der gilt gleich als Banause. Als Loser. "Iiiiiihhh,  hast du gesehen, der kreiert nichts, wääähhh, voll asi!!!"

Als ob Nicht-Künstler die schlechteren Menschen wären!

Ich würde an so einem typischen Zürcher Arty-Party-Smalltalk ja gerne einfach mal ein "Ich finde Kunst SCHEISSE!!!" in die Runde werfen. Einfach so aus Prinzip, um mal gegen den Strom zu schwimmen und mich diesem ganzen Kreativzwang zu widersetzen. "Ins Theater? Geht's noch?! Ich verstehe dieses hochgestochene Goethe-Geschwafel sowieso nicht, und dass die sich auf der Bühne immer ausziehen und rumschreien müssen, geht mir sowas von auf den Sack! Eine Vernissage? Also bitte, so ein paar bunte Striche in einem Bilderrahmen kriegt mein 4-jähriges Gottimeitli auch noch hin, was bitte ist daran die grosse Kunst? Und diese DJs sind ja auch alle himmelhochjauchzend überbezahlt, das ist ja gar keine richtige Musik, die können ja noch nicht mal ein richtiges Instrument spielen! Und bleibt mir bloss vom Leib mit Gedichten! Ich versteh KEIN WORT!! Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium...?! BITTE??!! Nein, ich mag auch keine Arthouse-Filme schauen, in denen stundenlang einfach gar nichts passiert, vorüberziehende Landschaften kann ich mir auch beim Autofahren ansehen! Und wer bitte soll diese Kleider tragen, WER??!!"
Ja, ich würde mich einfach gerne mal dieser ewigen Künstlerei verweigern, meinem stinklangweiligen Bünzli-Bürojob nachgehen, beim Smalltalk an der Party genau nur über diesen sprechen, und in meiner Freizeit faul rumliegen oder, wenn's hoch kommt, passiv Fernsehen. Fertig.

Aber nein, ich mache es dann ja eben doch nicht. Ich schreib nur davon in meinem total kreativen Blog. 
Arty.