Donnerstag, 26. August 2021

142 Das Scheissegale

Ich weiss genau, was ihr euch fragt. Deshalb gleich am Anfang: Ja, Godzilla geht es super! Das kleine schwarze Arschloch, wie sie von uns liebevoll genannt wird, hat sich gut bei uns eingelebt. Ihr WC-Papier-Fetisch ist geblieben, deshalb hat sie Badezimmer-Verbot. Und auch, weil sie es auch sonst so mit WC-Zeugs hat und dauernd die Klo-Schüssel inspizieren muss. Tja, und neulich ist sie halt mal reingefallen, in Panik rausgestürmt und durch die gesamte Wohnung gesaust, das blaue Wasser schön überall rumspritzend.
Kein Wunder, komme ich jeden Morgen später zur Arbeit.

Aber Godzilla ist es mir wert. Sie bringt mich jeden Tag zum Lachen – und um den Verstand, wenn sie ihre Katzenstreu zum tausendsten Mal über den Gang verteilt. Oder zum zweitausendsten Mal an mir hochklettert, während ich mein Lieblingskleid trage. Oder gar nichts trage. Ich sehe nackt entsprechend aus. Bald muss ich wieder mal zur Gynäkologin, und die wird mich totsicher fragen, ob mich mein Mann eigentlich schlägt. Oder meine Frau, könnte ja sein.

Naja, solange die kleine Bitch (ich meine die Katze, nicht die Gynäkologin) schnurrt, ist alles in Butter.

Die Tierärztin fand es übrigens saulustig, dass ich sie Godzilla getauft habe (also, die Katze, nicht die Ärztin!). Weil, sie ist so klein und fein, und ihre Stimme klingt wie die eines Vogels, das passt nicht so ganz zu einem turmhohen Monster, dass Städte plattwalzt und Menschen frisst. Aber genau das würde auch Katzen-Godzilla machen, wäre sie nur ein bisschen grösser, da bin ich sicher! Ich habe ihren Namen gut gewählt – das denke ich jedes Mal, wenn sie wieder wie vom Teufel besessen grund- und ziellos durch die Wohnung fetzt und alles angreift, was ihr in den Weg kommt.

Social correctness my ass!
So, fertig Cat Content!
Heute wollte ich eigentlich über das Alter schreiben, oder besser gesagt: Über etwas, dass das Alter so mit sich bringt. Jedenfalls bei mir:

Das Scheissegale.

Oder ist das bei euch anders? Ich jedenfalls stelle wirklich fest, dass, je mehr Kerzen ich jedes Jahr auf meinem Kuchen ausblase, desto weniger habe ich das Gefühl, ich müsste irgendjemandem gefallen auf dieser Welt. Es ist mir einfach scheissegal, ob ich mich jetzt gesellschaftlich korrekt benehme oder nicht. Social correctness my ass! Gut, ausser bei den Menschen, die mir wirklich sehr nahe stehen und denen ich vertraue. Bei denen ist es mir wichtig, was sie von mir denken und für die mache ich auch Sachen, die mir eigentlich gegen den Strich gehen. Zum Beispiel mit ihnen einen Film schauen gehen, den ich doof finde. Mitten in der Nacht das Telefon abnehmen, wenn sie anrufen. Mit ihnen Essen teilen  (das ist sonst ein ganz schwieriges Thema für mich, remember Post 86?).
Aber bei allen anderen?

Nein, muss ich nicht!
Muss es mich da als Ü40-Frau wirklich kratzen, wenn ich keinen Bock habe, mit jemandem Kaffee trinken zu gehen, der/die nach x Jahren des Abtauchens plötzlich wieder auf der Matte steht? Muss ich wirklich jemandem zum Geburtstag gratulieren, nur weil Facebook mir anzeigt, dass dieser Geburtstag heute ist, ich aber ansonsten mit dieser Person gar nichts (mehr) zu tun habe in der realen Welt? Muss ich mit jemandem Kontakt pflegen, weil er/sie blutsverwandt mit mir ist, ich ihn/sie aber menschlich unterirdisch finde? Muss ich mir nach doch schon einigen Jährchen in der Berufswelt immer noch von Aussenstehenden erklären lassen, wie ich meine Arbeit zu machen habe? Und: Muss ich jemanden überhaupt grüssen auf der Strasse, nur weil mir diese Person gerade entgegenkommt, ich aber wirklich null Bock habe auf sie?

Nein, muss ich nicht!

Weil, wenn ich das alles machen und annehmen und abnicken würde, dann wäre es einfach unehrlich. Klaro, hab ich oft gemacht im Leben, und ihr wahrscheinlich auch. Weil wir uns nicht anders getraut haben, weil wir uns schlecht fühlten, wenn wir uns nicht mit Verwandten trafen oder zum Geburi gratulieren oder Grüezi sagen, nur, weil wir keine Lust dazu haben. Aber mit dem Älterwerden kommt die Reife – und damit eben das Scheissegale.

Das schlechte Gewissen geht auch noch weg
Ich denke, mit einer gewissen Lebenserfahrung sollte man/frau wohl endlich mal ehrlich und ganz sich selber sein dürfen, da muss der Mensch doch nicht mehr versuchen, irgendwelche Pseudo-Gesellschafts-Gesetze einzuhalten, einfach nur um Karma-Punkte zu sammeln oder so. Und das gilt für beide Seiten. Bringt dir ja auch nichts, wenn ich dich grüsse auf der Strasse, obwohl ich dir eigentlich lieber eine reinhauen würde, oder?

Drum: NÖ, ich komme nicht mit dir Kafi trinken, und dein neuer Job auf LinkedIn interessiert mich ungefähr so viel wie der nächste Strickkurs in Peking.

Das Blöde daran: Das Scheissegale ist mit einem sehr schlechten Gewissen verbunden. Ich mache zwar nichts mehr, nur um höflich zu sein und nicht anzuecken, aber ich schäme mich dafür. Und halte mich für einen ganz schlechten Menschen, der jetzt ganz sicher von irgendeiner Gottheit ganz böse bestraft wird, weil ihr der Geburtstag einer gewissen Person sowas von am Arsch vorbei geht.

Aber das kriege ich auch noch weg. Schliesslich werde ich ja auch noch älter.