Mittwoch, 31. Dezember 2014

17 Reclaim your brains!

"Liebe" Initianten der Krawalle vom 12. Dezember im Langstrassenquartier und in der Europaallee.


Ich gehöre zu den "Auserwählten", die kurz vor dem Jahresende noch euer anonymes Pamphlet im Briefkasten vorgefunden haben. Ein Schreiben, mit welchem ihr eure jüngste Aktion von "Reclaim the Streets" rechtfertigt.


Ich lese also: "Gegen die Stadt der Reichen", so der Titel, ein "Vorschlag für einen Kampf gegen die städtischen Umstrukturierungsprozesse in Zürich". Es folgt die ausführliche Erklärung: all die Luxuswohnungen und Schickimicki-Geschäfte in Zürich würden die ärmere Bevölkerung zunehmend in "die für sie zugerichteten Schlafghettos am Rande der Stadt" verdrängen.  So werde ein sozialer Konflikt angeheizt, eine Trennung in Besitzende und Ausgebeutete, Privilegierte und Ausgeschlossene. Die Politik und die Reichen wollten den sozialen Raum verwalten, um zu vermeiden, dass die einen zurückholten, was ihnen entrissen oder vorenthalten würde. Dagegen müsse man sich wehren, und zwar jeder so, wie er es am besten könne, denn "die physische Dimension von solchen selbstverwalteten Kampfstrukturen ist verschieden denkbar". 
Daneben folgt eine detaillierte Beschreibung der Krawalle vom 12. Dezember: nein nein, man habe nicht "ziel- und wahllos" Scheiben eingeschlagen und Fassaden zerstört, wie immer von den Medien vorgeworfen. Man habe sich GEZIELT auf die Europaallee konzentriert, mit ihren edlen Restaurants und Läden. So nebenbei seien dann noch zwei Weihnachtsbäume verbrannt worden, "ein Fest, das die zerstörerische Kreativität von so einigen inspirierte und das hundertmal mehr Lebendigkeit und Schönheit ausstrahlt als das geschmacklose 'Fest der Liebe'". Die Krawalle seien nur ein "Beispiel davon, was möglich ist - und noch wäre!" Und natürlich "nimmt man damit bewusst Körperverletzungen in Kauf", die Polizei mache das mit ihrem Tränengas und Gummischrot ja genauso. 
Dazu gibt es ein paar Fotos aus jener Nacht, von zerstörten Schaufenstern, versprayten Wänden und herausgerissenen Stromkästen.

Aha. 

Also, ich lerne aus euren acht Seiten: in der Stadt Zürich ist Krieg. Und Gewalt ist ok.

Ich habe noch selten so einen Schrott gelesen!

Erstmals möchte ich festhalten: ja, auch mir macht die Stadtentwicklung Sorge. In Zürich kann man den Mietpreisen beim Steigen zuschauen. Die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung dauert hier oft Monate, unzählige Male darf man sich bei der Besichtigung mit 100 anderen in die Schlange vor dem Haus einreihen und geht dann ja doch leer aus. 
Als Familie in der Stadt Zürich wohnen? Wohl kaum. Sind Kinder unterwegs, müssen viele in die Agglo ausweichen. 
Ja, das ist ein Fakt und es ist nicht lustig und schon gar nicht Ordnung. Da muss etwas geschehen, zweifellos. Und das erfordert Engagement.
Aber Gewalt? I doubt it!!

Es geht hier doch nicht darum, einen Despoten zu stürzen oder Geiseln zu befreien! Ihr wollt Krieg spielen? Geht nach Syrien, dort haben die Leute aber auch wirklich allen Grund, sich mit Gewalt zu wehren!!
Herrgott, macht doch mal die Augen auf, zieht euch eure scheiss Masken vom Gesicht! Wir sind verdammt verwöhnt hier und können uns auch anders wehren! Aber das erfordert halt ein bisschen Hirn und Ausdauer und Strategie, etwas, worüber ihr Idioten (ja, das seid ihr, auch wenn ihr es nicht gerne hört, aber wie wollt ihr denn lieber genannt werden? "Helden"? "Lebensretter"?? Nicht im Ernst, oder??) offensichtlich nicht verfügen.

Was genau hat die Gewalt vom 12. Dezember gebracht? Ausser, dass der Kreis 4, in dem ich zufälligerweise wohne, jetzt zum Kotzen aussieht? Auf Schritt und Tritt verkritzelte Fassaden, mit so total geistreichen Sprüchen wie "Sommaruga? Knieschuss!", "Fuck Cops!" und "FCZ" (ich habe nicht genau verstanden, wie ein Fussballclub uns "Raum und Zeit, die uns entrissen wurden, zurückerobern" sollen, erklärt mir das doch bitte mal). Danke auch für das, es ist immer uuh schön, nach Hause zu kommen. Ich schwanke bei diesem Anblick stets zwischen dem Drang, den Putzlappen hervorzuholen oder bei euch als Rechtschreibe-Lehrerin anzuheuern.
Was glaubt ihr denn? Dass sich eure verhassten Banken, Politiker und Reichen nun sagen: "Ooooohhh, die haben alles kaputt gemacht! Ja, gut, easy, dann richten wir jetzt halt ganz viele billige Wohnungen ein und schaffen das kommerzielle Weihnachtsgeschäft ab, no problem"?
Und wieso motzt ihr über all die Luxuswaren in den Schaufenstern, wenn ihr dann die Scheiben einschlagt und selber "die Hände nach dem, was dahinter ist, ausstreckt"? Echt, Perlenketten gehören also zu den Dingen, die euch "entrissen und vorenthalten" werden? Euch geht es aber gut!
Ausserdem: euch ist schon klar, wer den Schaden, die ihr in jener Nacht angerichtet habt, bezahlen wird, oder? Ja, wir alle nämlich. Obwohl ich bei euch bezweifle, dass ihr arbeitet und Steuern bezahlt, weil ihr wohl glaubt, die Stadt muss euch einfach ALLES gratis geben. Aber so einfach funktioniert das Leben halt leider auch nicht, es ist ein Geben und Nehmen. 
Das mag vielleicht nicht immer ganz gerecht und ausgewogen sein in dieser Stadt und wohl überall auf der Welt, da geb ich euch Recht. Aber vermummt, brandschatzend und Steine werfend durch die Stadt zu ziehen ("keine Forderung ist sichtbar" und "keine Täter identifizierbar"), ist es ganz bestimmt auch nicht. Es ist feig und sinnlos. 
Und ehrlich gesagt, macht es mich auch verdammt traurig. Ich liebe Zürich trotz allem, ich denke, diese Stadt bietet unheimlich viele Möglichkeiten - und ihr tretet das mit Füssen! Wir sind hier nicht im Krieg - aber ihr zettelt gerade einen an! Ihr seid einfach zu faul, euch anzustrengen und den demokratischen Weg zu wählen (in wie vielen Städten und Ländern sonst steht euch diese Möglichkeit zur Verfügung, schon mal darüber nachgedacht??) Euch ist doch einfach nur langweilig und ihr lasst euren Frust raus, wie verzogene Kinder im Sandkasten: Einfach mal schnell alles das kaputt machen, was man selber gern hätte, die Sandburg des anderen zertreten und sein Dreirad demolieren. Sehr reif, wirklich! Und ihr wollt in dieser Stadt das Zepter übernehmen und "unsere Interessen repräsentieren"? Nee, du, da sind mir die Banken und Parteien aber lieber!



Also, bitte: Reclaim you BRAINS!! Und verschont mich das nächste Mal bitte mit so dämlicher Post, ja?


Danke und guets Neus!

Freitag, 12. Dezember 2014

16 Ich bin alt

Ich sitze beim Coiffeur.
Die sehr nette, sehr hippe und sehr redegewandte Coiffeuse fragt, ob sie mich duzen darf. Klaro, bin ja nicht von vorgestern! Und ausserdem sind wir so ziemlich auf einer Wellenlänge, sprechen über unsere Pläne für Sylvester, unsere Lieblings-Bars in Zürich, die neusten Pop-Hits am Radio. Zwei junge Frauen halt. Dann wäscht sie mir die Haare und schaut mir dabei bewundernd ins Gesicht.
"Hey, dis Nasepiercing isch meeeeegaa cool, wo häsch das mache lah?"
Ich so: "Weiss gar nicht mehr, ist schon 20 Jahre her."
Schweigen.
Dann die Coiffeuse so: "Hihi, echt? Da war ich noch gar nicht auf der Welt!"

Cool. You made my day, merci! Nun bin ich also offiziell ALT!!  Eine gepiercte OMA!!!
Darf man in meinem Alter eigentlich überhaupt noch ein Loch in der Nase haben?? Und das im Bauchnabel?? Muss das auch weg?? 
Keine engen Jeans mehr?? Keine Turnschuhe?? Wird's jetzt langsam Zeit für Krause-Senn und C&A?? Badeanzug statt Bikini?? 
In die Ferien mit dem Rollkoffer statt mit dem Rucksack?? Familienhotel statt Airbnb??
Nur noch Kino und gemeinsam Kochen mit Freunden statt feuchtfröhliche Gelage im Club??

Oh Gott, bin ich etwa langsam peinlich, so wie diese Mütter, die sich mit Mitte 50 endlich scheiden lassen und dann wieder mit der Teenie-Tochter in die Disco wollen, so mit Hotpants und Bauchfrei-Top???!!!

NICHT. LUSTIG!!!

Das muss ich die Coiffeuse das nächste Mal fragen, wenn ich wieder zu ihr gehe, damit sie mir die grauen Haare überfärbt. 

Donnerstag, 13. November 2014

15 Fuck you, biologische Uhr!

Alle Jahre wieder.
Ich geh zu meiner Frauenärztin zur Kontrolle, und dann am Schluss, kurz bevor ich aufstehen und gehen will, kommt dieser ernste Blick über den Brillenrand und die Frage:
"Frau Bitterbös, wie gseht's dänn jetzt uus mit Chind bi Ihne?"
Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie hat mit dieser alljährlichen Frage begonnen, als ich so knapp über 30 war. Und seither wird sie jedes Jahr drängender. Also, die Frage, mein ich. Gut, die Frauenärztin eigentlich auch.

Sie weist mich sanft aber bestimmt darauf hin, dass meine biologische Uhr langsam abläuft. 

Nun, glücklich die Frauen, die auf diese Frage ohne zu Zögern mit "Ui, Chind? Neeeeiiii, danke, ganz sicher nöd ich!!" beantworten können, denn sie müssen keinen weiteren müden Gedanken mehr daran verschwenden. 
Glücklich auch diejenigen, die voll überzeugt "Ja, klar, unbedingt!" sagen können, denn sie haben wohl eh schon ein paar Kids zu Hause und nehmen jetzt vielleicht noch ihre letzte Chance wahr. 
Unglücklich aber die Frauen, zu denen auch ich mich zähle. Denn sie antworten auf diese Frage mit: "Jeeiiiiinnn, aso, villicht, aso, ich weiss nöd... glaub scho. Aber nöd unbedingt. Glaub's."

So bis 30 war Mutter werden für mich ein absolutes No-Go. So ein Klotz am Bein, gaht's no?? Ich will frei sein!
Ich arbeite viel und zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten des Tages. Ich tingle jedes Jahr durch die Weltgeschichte, flieg mal hier hin, mal da hin, mal kurz, mal lang. Ich habe aufwändige Hobbies, ich investiere mein Geld gerne in neue Kleider und Schuhe und Möbel, ich geh aus, wenn ich grad Lust hab, ich probiere dauernd irgendwas Neues aus, ein Sprachkurs hier, ein Tanzkurs da, und wenn ich frei hab, lieg ich auch einfach mal den ganzen Tag nur im Bett - kurz: ich führe ein egoistisches Leben ohne grosse Rücksicht auf andere und mache meistens, was mir grad passt. Das aufzugeben oder zumindest für eine gewisse Zeit hintenan zu stellen, fiele mir wohl nicht ganz so leicht. 
Aber heute, wo ich unweigerlich auf diese magische Grenze von 40 zugehe, wo mir in Punkto Kinderkriegen das Wasser schon bis zum Hals steht, ist mir klar: das ist alles vergänglich. Und proportional zu meinem Alter wächst auch das Verlangen nach etwas, das bleibt. Nach einem Abenteuer, das etwas länger anhält als gewohnt. Nach dem Weitergeben. Es muss nicht mehr alles ständig neu und ungewohnt und unverbindlich sein. Mit Mitte 30 und ein bisschen mehr schwindet bei mir langsam diese Panik vor der Biederkeit, der Langeweile und dem Stillstand. Ich hab Freude an meinem Gottemeitli, ich wüsste einen Namen für meine Tochter. Ok, Haus auf dem Land, Familienhotel und Aneinanderkleben gehen wirklich immer noch nicht, aber ich bin überzeugt, dass man Kinder auch anders grossziehen und sich einen Teil seiner Freiheit und Unabhängigkeit bewahren kann. Ja, vielleicht wär ich also bereit. Glaub's.
Kommen wir also zum eigentlichen Problem in dieser ganzen Sache und damit zum alljährlichen Standard-Anschlusssatz meiner Frauenärztin, der jeweils gleich auf die obige Frage folgt: "Wänn Sie jetzt dä richtig Partner händ, Frau Bitterbös, dänn warted Sie nöd länger!" 
Tja, der "richtige" Partner war in all den Jahren der Hinweise auf meine schwindende Fruchtbarkeit halt eben noch nicht dabei. 
Ansonsten gab es aber schon sämtliche Variationen: Männer, die Kinder wollten, aber nicht mit mir. Männer, die Kinder wollten, aber ich nicht mit ihnen. Männer, die keine Kinder wollten, aber mich auch nicht. Männer, die keine Kinder wollten, aber ich sie auch nicht. Und das häufigste Exemplar: Männer, die eigentlich schon vielleicht ganz gerne Beziehung und Kinder wollten glaub's, aber halt irgendwann mal und bloss nicht jetzt und bloss nicht so und überhaupt am liebsten gar nichts dafür ändern wollen im Leben und irgendwann kommt eh noch was Besseres. 
Das heisst, diese Exemplare befinden sich immer noch in diesem Zustand wie ich damals mit 30, sind aber gut und gerne schon 10 Jahre drüber.

In dieser verfahrenen Situation steh ich nun also zwei möglichen Lösungsansätzen gegenüber:

Lösungsansatz 1: Ich entscheide mich ALLEIN für ein Kind und lass den Mann nach der Zeugung einfach weg. 
Ja, bestimmt, so stell ich mir das Muttersein auch vor: alleinerziehend von Beginn weg! Die ganze Arbeit lastet auf mir! Ausserdem finde ich, ich bin meinem Kind einen anständigen, anwesenden Vater schuldig. Oder was soll ich dem Youngster dann später mal sagen? "Sorry, Schatz, häsch du kein richtige Papi. Aber er hät dich halt gar nie welle." 
Ähä.  
Lösungsansatz 1 fällt weg.

Lösungsansatz 2: Ich entscheide mich halt definitiv GEGEN ein Kind.
Fällt auch weg. Wenn ich das könnte, hätte ich es ja schon längst getan.

Scheisse.
Mann, die biologische Uhr ist aber auch so ein UNFAIRES ARSCHLOCH, echt!!!!!!!

Ich will verdammt nochmal auch so sein wie diese "Ich will ja schon aber nicht jetzt wääähhh Verantwortung"-Männer! Mich nicht entscheiden müssen!! Mir schön Zeit lassen mit dem Reifen, mit dem Hörner abstossen und so, denn ich kann mir ja dann mit 55 noch eine 25-jährige schnappen und mit der Kinder zeugen! Easy peasy, bloss keine Eile!!!
Das ist einfach voll fies!! Männer müssen sich nicht jedes Jahr beim Urologen wieder diese nervige Frage nach der Familienplanung anhören, ihnen wird nicht dauernd der Rückgang ihrer Fruchtbarkeit statistisch vorgerechnet! Und sie gehen dann auch nicht nach Hause und zerbrechen sich den Kopf darüber, was man im Leben wohl mal mehr bereut: Ein Kind zu kriegen oder kein Kind zu kriegen?

Fuck you, biologische Uhr, FUCK YOU VERY MUCH!!!!!!