Montag, 17. Dezember 2018

98 Massierte Minderwertigkeitskomplexe

Neulich wollten sich eine Freundin und ich etwas Gutes tun, und wir entschieden uns für eine Massage. Und zwar für eine Partnermassage - klingt versaut, ist es aber nicht. Es ging einfach nur da drum, dass wir beide zur selben Zeit massiert werden wollten, ob im selben Raum oder nicht. Damit die eine nicht auf die andere warten musste.

Wir entschieden uns also für einen fancy Yoga Place (was mich an Blogpost Nummer 89 erinnert - meine Yogakarriere ist übrigens schon wieder vorbei!), wo schon beim ersten Betreten alles nach Gesundheit und Veganismus und Entspannung und SeineMitteFinden schrie. Die besten Voraussetzungen also, um ein neuer Mensch zu werden!
Als wir am Empfang den Termin für den nächsten Tag machten, witzelten wir schon, was die uns wohl für Masseurinnen oder Masseure zuteilen würden. Sicher so zwei männliche Topmodels, damit die Situation ja noch akwarder würde, als sie sonst schon ist. Ich meine, an einer medizinischen Ganzkörpermassage OHNE HAPPY END ist ja nichts dabei, aber immerhin liegt man halbnackt dort und der andere knetet überall an einem rum, man kann also nicht abstreiten, dass das eigentlich schon was ziemlich Intimes ist und man so einiges von sich preisgibt, ob man will oder nicht. Da ist es einem lieber, wenn einem die Masseurin oder der Masseur wirklich gar nicht gefällt, denn sonst bekommt das Ganze irgendwie einen noch peinlicheren Touch.

Tja, Pech gehabt.
Natürlich standen am nächsten Tag tatsächlich die beiden männlichen Topmodels im fancy Yoga Place, um uns in Empfang zu nehmen. Be careful what you wish for, sag ich da nur!

Auf dem Weg in den Massageraum mussten sich meine Freundin und ich das Lachen verkneifen, und als uns die beiden durchtrainierten Adonisse dann kurz zum Umziehen (oder besser gesagt Ausziehen) allein liessen, konnten wir uns nicht mehr zurückhalten: "Oh Gott, das erinnert mich jetzt  irgendwie an Sex and the City!" - "Verarscht uns hier jemand? Haben die uns hier gesehen und gedacht: 'Na, die haben's nötig, denen schicken wir gleich das grosse Geschütz!' oder was?" - "Ui, zum Glück habe ich heute nicht die ganz hässliche Unterhose an!" - "Ich nur einen Tanga! Das ist mir jetzt aber mega unangenehm!" - "Was meinst du, wer massiert wen? Willst du lieber den dunklen oder den blonden?" - "Wie war das nochmal in Sex and the City?" - "Samantha flog aus dem Spa, weil sie sich an den heissen Masseur ranmachte." - "Ah, ja?"


Ist das jetzt übrigens so ein Fall für #metoo? Liebe Männer, falls ihr euch gedemütigt fühlt: Das war alles nur "Lockerroom talk", wir machten uns einfach nur lustig über die Situation. Und versuchten so, unsere Nervosität etwas zu dimmen. Denn ehrlich gesagt, war es für mich mit der Tiefenentspannung erstmal vorbei. Und das hat nichts mit den Masseuren zu tun, die natürlich so gut aussehen dürfen wie sie wollen, sondern mit mir und meinen Minderwertigkeitskomplexen.
Ja, jetzt liegt man also eben so halbnackt auf diesem Schragen und hat das Gefühl, kein Fettpölsterchen, kein Fältchen, keine Delle bleibt dem anderen verborgen. Gott, nicht so fest rütteln am Gesäss, das schwabbelt doch so! Wieso kann der so easy unter mein Schulterblatt greifen? Hab ich dort so viel Fett?!
Und man hat auch das Gefühl, man könnte für diese vermeintlichen Unzulänglichkeiten verurteilt werden: "Oh mein Gott, frisst die Gute denn nur Fast Food oder was? Und was sind das denn für komische Verspannungen hier? Wie kriegt man denn sowas? Schon mal was von Sport gehört??"
Solche und ähnliche Gedanken liessen mich während der ganzen Massage nicht los - obwohl sie wirklich top war! Wie ein junges Geisslein sprang ich hinterher vom Tisch, mit total lockeren Muskeln, dafür etwas angespanntem Kopf.

Meine Freundin, ich und die beiden Masseure unterhielten sich hinterher noch ein wenig. Ihrer (der dunkle) machte ihr ein Kompliment: Er habe schon gemerkt, dass sie sehr athletisch sei, diese Beinmuskeln seien beeindruckend und es freue ihn, dass sie ihrem Körper Sorge trage.
Meine Freundin zählte daraufhin ihre sportlichen Aktivitäten auf, und ich lachte nur nervös und meinte: "Tja, ich mache gar nichts davon!"
Insgeheim hoffte ich, mein Masseur (der blonde) würde nun etwas erwidern, so im Stil: "Och, das merkt man aber gar nicht" oder so.

Aber leider schwieg er beharrlich.

Sonntag, 25. November 2018

97 Wie teuer ist Leben?

Meine Mutter ist über 70, aber eigentlich wirkt sie wie gerade mal Mitte 50. Sie ist fit, schlank und rank, färbt sich die Haare, zieht sich gut an, nimmt aktiv am Leben teil. 
Aber sie ist krank. Sie hat Krebs, unheilbar.
Nun ist es so, dass ihr eine Immuntherapie helfen könnte. Nicht heilen, aber helfen. Allerdings: Niemand will ihr diese Therapie bezahlen. Die Versicherung fühlt sich nicht zuständig: Ob der seltene Krebs, den meine Mutter hat, auf das Medikament anspreche, sei nicht erforscht. Und da will man natürlich kein Geld verschwenden. "Ein paar hübsche Sportwagen" könnte man mit dem Wert der Therapie kaufen, sagen die Ärzte lakonisch. Und irgendwas sagt mir, dass die Versicherer auch genau das lieber tun würden, als Spitalrechnungen zu begleichen. 

Gaaaaannnzzz böse, jaja, shame on me! Aber ich frage hier einfach mal in die Runde: Wie teuer darf Überleben denn sein?
Ja, ich weiss, 100'000 Franken, hat das Bundesgericht vor einigen Jahren festgelegt. Was für ein Witz! Wer kann ein Leben denn schon mit Geld bewerten? Wenn jemand also keine 100'000 Franken hat, dann soll er halt einfach sterben oder was? Und was ist denn teurer? Muskelschwund, Krebs oder Cystische Fibrose? Oder anders gefragt, was ist schlimmer: Langsam zu ersticken oder an Organversagen zu sterben? Wer legt das fest? 


Mir ist schon klar, dass Spitzenmedizin nicht gratis ist. Die Forschung kann ohne Ressourcen nicht arbeiten, Medikamente lassen sich nicht ohne Geld herstellen, Chirurgen operieren nicht umsonst. Und ich motze auch jedes Jahr, wenn die Krankenkassenprämien wieder steigen. Aber Preise für Medizin allein dem Markt zu überlassen, finde ich völlig absurd. 
Mit der Gesundheit ist es doch wie mit dem Wasser: Wir ALLE brauchen es, um anständig zu leben. Und wir  haben ALLE das gleiche Recht darauf, ob arm, ob reich, ob grün, ob rot - also, nein, wir haben es eben nicht, aber wir sollten es haben, verdammt nochmal! Gesundheit und Wasser sind  Menschenrechte. Wir haben doch grad heute darüber abgestimmt, dass es höhere Rechte gibt als das rein Schweizerische, oder? Also, das Menschenrecht ist so eins. Das mal so als Einschub. Und mit Menschenrechten Geschäfte zu treiben, ist einfach nur arschlochig. Jemandem dreckiges Wasser vorzusetzen, weil er sich das saubere nicht leisten kann, geht einfach nicht. Es geht schon nicht, dass Wasser überhaupt was kostet. Und niemand schreibt mir vor, wann ich zu sterben habe, schon gar nicht mein Bankkonto!

Wer also legt fest, wieviel das Leben wert ist?
Offenbar die Pharmaindustrie.
Beispiel: Novartis hat vor einigen Wochen angekündigt, eine neue Gentherapie gegen eine besonders schwere Form von Muskelschwund auf den Markt zu bringen. Kostenpunkt: 4 Millionen Franken für eine einzige Infusion! 
4 MILLIONEN!!!!! 
Was ist jetzt mit den Eltern von Kindern, die mit dieser Krankheit auf die Welt kommen? Die wissen, dass ihr Sohn, ihre Tochter ohne Behandlung keine 2 Jahre alt wird? Werden ihre Namen in einen Topf geworfen und die Versicherungen ziehen dann einen glücklichen Gewinner? Weil: Allen Betroffenen können sie unmöglich eine solch teure Therapie bezahlen. 
4 Millionen. Noch ein paar Sportwagen mehr. 

Wir fassen also zusammen: Wer eine schwere, und vor allem seltene Krankheit hat, ist völlig unserem Gesundheitssystem ausgeliefert. Und dieses entscheidet, ob es in sein Leben investiert oder nicht. Wer zu teuer ist - selber berappen oder halt Pech gehabt. 

Meine Mutter und ich können uns beide keine Sportwagen leisten.


Montag, 5. November 2018

96 High end Clubbing

Nun habe ich ja bekannterweise schon ein gewisses Alter, und deshalb muss ich auch nicht mehr jeden Abend in die Zukki, ins Hive oder ins Gonzo. Nein, es wurde jetzt Zeit, mal etwas Neues auszuprobieren.

Also ging ich an einen Ball.

Und nein, es war nicht der Polyball an der ETH. Es war tatsächlich ein Ball an bester Adresse Zürichs mit Gästen, die enorm viel Geld haben. Enorm viel. 
Zu denen gehöre ich zwar nicht, aber ich hatte das Glück, dass ich keinen Eintritt bezahlen musste - denn diesen hätte ich mir schlichtweg nicht leisten können.

Anyway, natürlich durfte man mir nicht schon von Weitem ansehen, dass ich nicht zu Zürichs High Society gehöre, weshalb also ein Ballkleid hermusste.
Da ich mich sehr kurzfristig für die Teilnahme an diesem Anlass entschied, hatte ich genau noch einen Feierabend Zeit, mich einzukleiden.
Also, rein in den nächsten Laden und das Sortiment durchwühlt.
Natürlich gefiel mir das teuerste Kleid am besten, ich hatte aber das Glück, das gerade Ausverkauf war (was allerdings immer noch bedeutet, dass ich jetzt zwei Monate lang hungern muss, aber egal). Schuhe gab's drum auch nur noch von Dosenbach, 29.90.-, aber ich das ist ja eh modern, oder, dass man Haute Couture mit Billigem ab der Stange kombiniert?

Im Tram jedenfalls fiel ich schon mal auf - nicht wegen dem langen Rock, der unter meinem Daunenmantel hervorlugte, sondern weil der Rest der Partygäste dort Dirndl und Lederhosn trug und offensichtlich nicht unterwegs war an die selbe Location wie ich. Und die, die es waren, hatten einen Chauffeur und sassen bestimmt nicht im Tram.


Angekommen im Ballsaal hingegen fühlte ich mich dann wieder ganz unter meinesgleichen: Überall bodenlange Kleider mit Glitzer und Glamour (ganz bestimmt noch einiges teurer als meines) und Herren im Smoking. Einige Gesichter kannte ich aus den Boulevard-Gazetten, und mit einigen davon sass ich sogar am Tisch - und nein, mehr verrate ich nicht, auch nicht für sehr viel Geld.

Ok, doch, für sehr viel Geld liesse ich mich weichklopfen. 

Aber ich muss sagen, ich war positiv überrascht. Ich war das erste Mal an so einem richtigen High end-Anlass, und eigentlich hatte ich mir das etwas steif vorgestellt. Aber nein, es schwangen alle das Tanzbein bis tief in die Nacht, und zwar nicht zu klassischer Wagneroper oder so, sondern zu "Despacito", "Crazy in love" und "Atemlos durch die Nacht". Was in den schicken Kleidern übrigens sehr lustig aussah. 
Wir assen fünf sehr exquisite Gänge, und ich unterhielt mich mit allen sehr gut, man war nett und höflich miteinander, egal ob man jetzt CEO einer internationalen Firma oder die Kellnerin war. 
Nicht mithalten konnte ich hingegen bei den Silent Auctions, die man als Abendunterhaltung eingerichtet hatte, denn mir mal so schnell ein Heliskiing in British Columbia für 25'000.- zu gönnen, liegt bei mir momentan einfach nicht drin. Und auch die hübschen Blumengestecke auf den Tischen durfte ich leider nicht mit nach Hause nehmen, die würde man nämlich wiederverwerten, wie es hiess. Nachhaltigkeit olé, auch bei den Superreichen.

Nichtsdestotrotz amüsierte ich mich blendend und blieb, bis die Lichter ausgingen. 
Und dann musste auch ich das erste Mal in dieser Nacht tief in die Tasche greifen: Für das Uber zurück nach Hause. 

Ich muss sagen, so etwas ein-, zweimal im Jahr, da würde ich nicht Nein sagen. Und dann zwischendurch in Jeans in die Zukki.