Dienstag, 24. September 2019

111 Der Anti-Fetisch aller Anti-Fetische(r)

111 - yeah, Schnapszahl!

Und Schnaps könnte ich manchmal ganz gut gebrauchen im Alltag. Weil, kennt ihr das? Manchmal wird man von einer Sekunde auf die andere aggressiv. Und der Auslöser ist meistens total banal. Aber jeder hat so einen Auslöser. So eine Art Anti-Fetisch. Woher das kommt - keine Ahnung. Psychologisch sicher höchst interessant, hier aber nicht relevant.
Ich habe jedenfalls einige Anti-Fetische (oder -FetischeR?), aber einer ist besonders schlimm und mir erst gestern wieder begegnet:

Das Mini-Headset.

Ich meine damit nicht diese Kopfhörer mit dem Mikrofon vorne dran, wie man das zum Beispiel im Callcenter hat.
Ich meine dieses kleine, längliche Ding, das man sich in EIN Ohr steckt. Vorzugsweise ist es schwarz-silbern, und wenn man auch wirklich die hässlichste Arschloch-Ausführung hat, blinkt es auch noch irgendwo! Das Ding verwandelt den Träger sofort von einem Menschen in einen lächerlichen Möchtegern-Cyborg. Und es sieht so DÄMLICH aus, dass man es dem Unbekannten am liebsten einfach runterreissen würde, und es wäre einem scheissegal, wenn gleich das ganze Ohr oder das halbe Gesicht mitkämen!!!

Also, jedenfalls, wenn ich so eine Person mit so einem Mini-peinlicher-Cyborg-Agenten-für-Arme-Headset im Ohr sehe, dann fängt mein Herz urplötzlich an, bis zum Hals zu klopfen. Mir stellen sich alle Haare auf, nicht die auf dem Kopf, aber am übrigen Körper, es wird mir erst kalt und dann sofort heiss, und in meinen Ohren macht sich ein Rauschen breit. Das bedeutet einfach, dass mein Organismus irgendeinen Botenstoff ausschüttet, der meinem Gehirn sagt: "Töten. TÖTEN! TÖÖÖTTEEEEENNNNN!!!!!!!!!!" 
Ich kann dann auch gar nicht mehr wegsehen, weil mich die Hässlich- und Sinnlosigkeit dieses Dings einfach komplett schockiert!

Wieso tut ein Mensch sich so etwas freiwillig an?? 
Gibt es denn überhaupt kein Schamgefühl mehr auf dieser Welt??
Anyway, zurück zu gestern: Ich war an einem Kaffee-Stand und wollte mir - oh, Wunder! - einen Kaffee erwerben. Dafür musste ich Schlange stehen. Und genau vor mir stand so ein Typ mit diesem scheiss Mini-Headset im Ohr. Vielleicht braucht man sowas ja dringend als IT-Spezialist oder Banker oder Bodyguard, oder was auch immer der Mann vor mir war. Jedenfalls trug er Hemd und Anzugshose, Gärtner war er also wahrscheinlich nicht. 
Und NATÜRLICH musste er auch noch eine Glatze haben, so dass das Ding an seinem Kopf mich noch mehr anspringen konnte! Da war nix mit dezent hinter dem Haar verstecken!
Also, von mir aus, vielleicht braucht er das Gerät ja dringend. Allerdings ganz bestimmt nicht gerade JETZT. Denn es war ja nicht so, dass er gerade am Telefonieren war, neeeeiiinnnn: Er sprach die ganze Zeit über in der Schlange kein Wort. Und ich glaube kaum, dass man neuerdings einohrig Musik hört, oder?
Als er an die Reihe kam am Tresen vorne, gab er ganz normal seine Bestellung (doppelter Espresso!) auf, und irgendetwas sagt mir: Der Verkäufer hätte ihn ganz bestimmt auch OHNE MINI-SCHEISS-FUCKING-HEADSET verstanden, verdammt nochmal!!!!Als er an die Reihe kam am Tresen vorne, gab er ganz normal seine Bestellung (doppelter Espresso!) auf, und irgendetwas sagt mir: Der Verkäufer hätte ihn ganz bestimmt auch OHNE MINI-SCHEISS-FUCKING-HEADSET verstanden, verdammt nochmal!!!!
Leute mit solchen Dingern im Ohr sind ja das eine.
Aber Leute, mit solchen Dingern im Ohr die ganze Zeit über, ohne dass sie es überhaupt brauchen, machen mich RASEND!!! Habt doch bitte ein bisschen Würde und nehmt diese Beleidigung fürs Auge weg, wenn es nicht in Betrieb ist!!
Oder nein, viel besser: Werft es in den Güsel und kauft euch Beats!! Und einen SPIEGEL!!!!!
Jedenfalls war meine Laune schon in der Sekunde im Keller, in der ich den Möchtegern-Cyborg entdeckt hatte.
Ich stand hinter ihm und nagte auf meinen Lippen herum, wie ich das immer tue, wenn ich sehr nervös und ungeduldig bin.
Meine Hormone gingen sofort in Angriffstellung, in Anti-Fetisch-Modus, und es zuckte schon in meinen Fingern, weil sie soooooo gern nach dem elektronischen Arschloch dort im Ohr gegriffen hätten. Ich musste mich wirklich sehr, SEEEEHHHRR beherrschen, um es nicht zu machen. Und ich suchte ganz intensiv nach einem Grund, weswegen ich den Cyborg anschnauzen könnte - vielleicht, weil er seinen Espresso auf meine Lieblingsjacke schüttet oder mir auf den Fuss trampelt oder irgendwie so. Denn in einem Kaffee-Haus auszuticken und alles kurz und klein zu schlagen, weil einer dort ein Mini-Headset trägt, hätte ich meiner Versicherung wohl nicht so gut unterjubeln können.
Aber leider geschah nichts dergleichen, und ich konnte den Typen nur mit meinem absolut verächtlichsten Blick bestrafen - den er glaube ich nicht einmal wahrnahm. 

Ich hatte mal einen Lover, der jahrelang ein Parfüm trug, dessen Geruch mich in Null Komma Nichts aggressiv machte.
Wenn jemand im Zug sein Tupperware mit dem selbstgemachten Essen auspackt, wird es mir auch gleich anders.

Aber der erste Platz aller Frau Bitterbös-Anti-Fetische geht unangefochten an das Mini-Arschloch-Möchtegern-Cyborg-Headset. 
Und ja, ich stehe dazu! Und nein, Schnaps hilft da eigentlich auch nicht!



Donnerstag, 22. August 2019

110 Das Power-Geschlecht

Starke Frau. 
So hat man mich auch schon genannt. "Du bist eben eine starke Frau, damit können halt nicht alle umgehen."

Aha.


Könnten sie denn besser mit mir umgehen, wenn ich ein starker MANN wäre?
"Du bist eben ein starker MANN, deshalb können nicht alle mit dir" kriegt wahrscheinlich nie ein Mann so zu hören. Der ist einfach stark, basta.
Wieso aber muss man dann das Geschlecht dann so explizit betonen, wenn man eine Frau "stark" nennt? Oder "Frauenpower". Kann ja auch einfach "Power" sein, nicht? Das sei eine volle Ladung "Frauenpower" hab ich neulich irgendwo gelesen, weil ein paar Frauen zusammen irgend einen neuen Laden eröffnet haben. Und wenn Männer einen Laden haben, ist das dann "Männerpower"?
Mal ehrlich, manchmal geht mir diese Geschlechterdebatte so richtig auf den Sack. Jupp, heikles Thema, ich weiss. Und bevor ihr mich fertig macht mit 345043 wutentbrannten Kommentaren: Nein, ich bin keine Feministen-Hasserin oder ein halber Mann oder doof oder was auch immer.
Mir ist klar, dass in ganz vielen Themen auf dieser Welt das eine oder andere Geschlecht noch immer benachteiligt ist. Und das soll und darf nicht sein.
Wir alle wollen Gleichberechtigung.
Also, die meisten von uns wollen das. Jedenfalls hier in Tsüri. Gehe ich mal davon aus...? 
Egal.
Wir wollen also Gleichberechtigung, egal welches Geschlecht wir haben, aber ersticken das zarte Pflänzchen ja schon mit unserer Sprache und unserem Denken im Keim. Wieso müssen wir denn das Geschlecht dauernd so hervorheben? Die biologischen Unterschiede herausschälen?
Das können wir gerne tun, wenn es um Themen geht wie Schwangerschaft, Bartwuchs oder Mode, wo die unterschiedlichen körperlichen Attribute tatsächlich eine unabdingbare Rolle spielen.
Aber ein Mensch ist stark oder nicht stark, ob er jetzt ein Schnäbi oder eine Vagina hat, ist da doch eigentlich vollkommen egal. Und es ist auch nicht besser oder schlechter, ob jetzt ein Mann stark ist oder eine Frau. Stark ist stark, basta!

Ich finde es auch nicht besonders förderlich, wenn Frauen sich so zusammentun und dann so: "Yeeeaaaahhh, voll die Frauenpower!" - öhm, ja, schön, es ist jetzt halt einfach Power. Weil, ein spezifisches Geschlecht noch so zu betonen, verleiht ihm einen Hochstatus, setzt es auf ein Podest."Yeaaaahhh, was ihr Männer könnt, können wir Frauen noch viiiieeeelll besser: POOWEERRR!!"
Aber gerade wir Frauen sabotieren uns damit gleich selber. Denn das Wort 'Frauenpower' impliziert ja, dass 'Power' alleine nur männlich ist. Deshalb spezifieren wir es extra noch mit einem Geschlecht.

Sinnlos.

Power ist einfach Power. Stark ist stark. Toll ist toll. Liebe ist Liebe. Dummheit ist Dummheit. Da gibt es kein weiblich, männlich, Transgender oder ich weiss nicht was.
Es ist wie es ist und für alle gleich.

Ich wünschte, ich könnte das für alles andere auf der Welt auch behaupten.

Mittwoch, 31. Juli 2019

109 Leider geil

Also, wie im letzten Post angekündigt nun: Flugshaming.
Gibt ja kein anderes Thema mehr hier in Tsüri. Liegt wohl auch daran, dass wir es einfach gut haben und uns deshalb überhaupt überlegen KÖNNEN, ob wir noch in ein Flugzeug steigen wollen oder nicht. Andere können sich das schlicht und einfach nicht leisten und müssen sich diese Frage gar nicht erst stellen.

Wer mich so ein bisschen verfolgt hat über die letzten Jahre, der weiss: Ich bin recht häufig unterwegs. Ich LIEBE das Reisen! Ja, eigentlich gibt es nichts Besseres.
Aber natürlich geht auch mir die Umwelt nicht am Arsch vorbei. Und in letzter Zeit kommen auch immer mal wieder so subtile Anstupser von aussen, so im Stil: "Ah, du gehst da und da hin, schön... also... fliegst du? ICH fliege ja nicht mehr..." 
Und JA, ich fliege oft und JA, ich gebe es auch zu. Allerdings habe ich mir nun natürlich auch, so wie viele andere, vorgenommen, öfters mal mit dem Zug irgendwo hinzufahren. Oder meinetwegen mit dem Schiff. Allerdings komme ich damit wohl kaum bis nach Japan oder Argentinien. Also, schon, aber ich habe 5 Wochen Ferien pro Jahr, die bräuchte ich dann wahrscheinlich schon allein für die Anreise. Und dazu mehr Lohn, weil Zugtickets oft teurer sind als Flüge, was total absurd ist. Ausserdem machen mich lange Zugfahrten wahnsinnig. Irgendwann weiss ich nicht mehr, wie mich unterhalten. Ich finde Züge langweilig, sorry. 
Aber noch mehr sorry: Ich will nicht auf gewisse Länder verzichten, nur weil sie zu weit weg liegen. Da bin ich nunmal eine egoistische Bitch! Ich will da hin gehen, wo es mich auch hinzieht, sonst kann ich sowieso gleich zu Hause bleiben. Ausserdem bin ich seeeehr der Meinung, dass es echt wichtig ist, wenn man auch mal ganz fremde Kulturen sieht und wie andere Leute auf dieser Welt leben müssen. Immer nur in der eigenen, komfortablen Bubble zu hocken, tut nicht gut - einem selber nicht und auch nicht dem Umfeld. 
"Die krasse Slums, häsch die au gseh?" "Ui nei, da gang ich doch nöd ane..."

Aber das ist wieder mal ein anderes Thema und wird auf einen nächsten Beitrag verschoben.

Ja, vielleicht müsste ich tatsächlich einfach viiieel weniger reisen, dafür dann länger und alles ohne Flugzeug. Allerdings werde ich so oder so meine Spuren hinterlassen: Auch Züge und Schiffe sorgen für Sauereien, für CO2-Ausstoss, für Abfall und Energieverschleiss. Vielleicht weniger als Flugzeuge, aber ich frage mich sowieso: Wie kann man so etwas überhaupt so genau berechnen? Jaaaa, eine Zugfahrt nach Rom sorge irgendwie für 4320 Tonnen CO2 und ein Flug nach Tokio für 6750014328 Tonnen... Echt, so genau kann man das erfassen? 
Ist ja auch egal, es ist sicher viel, daran zweifle ich nicht. 

Also, dann gar nicht mehr reisen.


Neeeeeeiiiinnnn, das kann ich nicht! FERTIG! Ich habe dieses einzige Leben, und ich will da einfach mehr sehen als nur das, was ich in Gehdistanz erreichen kann (und jemand so Unsportliches wie ich kommt nicht wirklich weit). Nicht reisen = Suizid. Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um zu Hause zu hocken. Da müssten wir die Zeit ja komplett zurückdrehen, da hin, wo die Menschen noch einfach draussen in der Natur lebten, ihr Essen von den Bäumen pflückten und nichts anderes taten, als sich fortzupflanzen. Das war wahrscheinlich auch der ursprüngliche Sinn des Menschen, aber sorry, we came too far now, so mit Häusern und Ackerbau und Internet will ich jetzt halt auch die Welt sehen - basta!
"Leider geil", um es wieder mal mit den Worten von Deichkind auszudrücken.

Und dazu kommt: Ich LIEEEEBBEEEE Flugzeuge!! Ich liebe Langstreckenflüge mit diesen kleinen, aber vielen Essensportionen und dem Film Schauen auf diesem kleinen Bildschirm in der Lehne des Vordersitzes und die lustigen Falttüren an den WCs, die komischen Produkte im Airline-Katalog, ich liebe es auch, wenn es ruckelt und schüttelt, und wie man unter den Füssen spürt, wenn die Räder ausgefahren werden - herrlich...!
Aber ja, das schlechte Gewissen fliegt immer mit. Es ist aber auch im Zug mit dabei und im Schiff. Die Batterie meines E-Bikes sei ökologisch auch böse, sagte man mir jüngst. 
Und nichts kann dieses schlechte Gewissen ausradieren, keine Kompensationszahlungen (die mache ich nicht mal, weil ich mir dann irgendwie so vorkomme, als würde ich mir eine weisse Weste KAUFEN), nicht mein Vegetarismus, mein Verzicht auf ein Auto, auf Plastik, etc. 

Und jetzt muss ich leider aufhören, weil ich einen Flug erwischen muss. Kein Witz jetzt. 

Ich habe nie behauptet, ich sei ein guter Mensch. Aber ich arbeite dran. Immer noch.