Mittwoch, 3. Juni 2015

26 Ich bin dann mal weg

Wer in Züri lebt, nagt ja meistens nicht grad am Hungertuch. Vor allem, wenn er nicht noch eine Familie durchfüttern muss, so wie ich und die meisten in meinem Umfeld, zum Beispiel. Und wir wissen unser Geld auch sonst ganz gut auszugeben (also, ich meine das, was nach der horrenden Miete, dem Abo fürs Fitnessstudio und dem Eintritt in die Zukki noch übrigbleibt, haha!). Die meisten Kinderlosen, die ich kenne, sind nämlich exzessive Reisende. Das Wochenende in Barcelona, die Feiertage in Paris, das Konzert der Lieblingsband in Berlin, Shopping in New York und die langen Ferien dann noch in der Karibik. 

Jepp, genau so bin ich auch - nur schlimmer. 

Ich habe es tatsächlich geschafft, das letzte Jahr ganze 14mal in ein Flugzeug zu steigen, und das immer zu reinen Vergnügungszwecken. Das schlechte Gewissen meldete sich prompt: Was bin ich nur für eine verwöhnte Jetset-Bitch!! Mal schnell hübsch an den Stränden von Ländern faulenzen, deren Einwohner mit ihrem Lohn kaum den Bus von der Arbeit nach Hause berappen können oder eh schon ganz auf der Strasse leben oder Angst vor ihrer eigenen Regierung haben müssen - und dann wieder schnell zurück nach Züri, in meine heile Welt, bevor's brenzlig wird, weil man zu sehr über diese Umstände nachdenkt. Und ja, alles, was ich hinterlasse, ist ein riiieeeessseeenngrooossseeerr ökologischer Fussabdruck, hallelujah!
Ich nahm mir also echt vor, dieses Jahr etwas zurückzuschrauben - was dazu führte, dass ich meinen Flugrekord bis Sylvester sogar noch böse übertreffen werde (all die Reisen per Zug oder Auto nicht mit einberechnet, ups)!

Jupp, die Welt ist schlecht, ich sag's ja. Scheisse ungerecht ist sie, und dieser Fakt holt mich immer wieder ein, wenn ich unterwegs bin. 
Also, eben, eigentlich dauernd. 
Was dazu führt, dass mich so tolle Hotels, superteure Arrangements und perfekt organisierte Reisegruppen im klimatisierten Büssli richtiggehend abschrecken. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das zuletzt gemacht habe. Im Ausland lebe ich persönlich am liebsten bei und mit Einheimischen, falls möglich. Da hilft mir AirBnB oder mein Freundeskreis, der (auch bitzli typisch Züri) zum Glück ziemlich international ist. Oder ich komme bei Freunden direkt unter, denn die bleiben auch regelmässig mal irgendwo in der Ferne hängen. Tja, und dann ist mir auch ziemlich egal, wo sich diese Herberge befindet, ob Favela, schickes Haus mit Pool oder Zelt, da war schon alles dabei. 
Und nein, man stirbt im Fall nicht, wenn man mal keine Dusche hat und Sachen isst, die nicht 50mal geschält, abgekocht und desinfiziert wurden.

Also, meistens nicht, jedenfalls. 
Bisschen Ekzeme und Kotzereien gehören dazu, mein Gott, be a (wo)man!!
Ich bin auf Reisen also immer gerne da, wo es wehtut, wo das richtige Leben stattfindet - und das ist nunmal nicht im Luxusressort oder Familienhotel mit Zaun drum herum. 
Nun, Geschmäcker und Meinungen mögen ja verschieden sein, aber ich gebe zu, Ich hatte schon gewaltigen Streit mit Leuten, die mir so nonchalant darlegten: "Ich will das Schlechte gar nicht sehen auf der Welt, ich will nur das Schöne", und die Nachrichten schalten sie auch immer gleich ab, wenn es um Hunger oder Krieg geht. sorry, aber diese willkürliche Ignoranz von uns verwöhnten Westlern macht mich sowas von fuchsteufelswild! Dann kuck halt nicht hin, aber zelebrier deine Scheissegal-Haltung nicht auch noch so offensichtlich!

Dabei, klar, auch ich bin kein Gutmensch (wer ist das eigentlich und wann darf sich jemand so nennen? Böh). Auch ich komme nach Reisen immer wieder gerne nach Hause, in mein geliebtes Züri. Auch ich danke innerlich diesem riesigen Zufall, dass ich in die Schweiz, und nicht in einen Krieg oder Slum geboren wurde. Und ja, auch ich lebe in einer heilen Welt, das zeigt sich spätestens auf dem Rückflug, wenn ich sehe, dass mein Sitznachbar ein viiiieeeeelll grösseres und natürlich viiiieel schöneres Stück Kuchen auf seinem Tablett hat und ich für einen Moment ernsthaft überlege, ob ich es wohl unbemerkt austauschen könnte, wenn er grad mal nicht hinkuckt...

Probleme einer superverwöhnten Züritussi, ja. Schlimm.

Aber vielleicht zieht's mich ja grad deshalb immer wieder weg. Weil ich dieser heilen Welt entfliehen möchte. Weil ich auch ein bisschen Hunger leide. Hunger nach mehr. Mehr Leben, mehr Erfahrung - mehr anderem halt, auch wenn's weh tut.

Ich bin dann mal wieder weg. Tschüss!

Montag, 11. Mai 2015

25 Tschokolatschi

Was hatte ich in meinem letzten Post geschrieben? Ich verstecke meine Fettpölsterchen unter den Klamotten?

Naja, ok, schon manchmal. Aber ich gebe zu: das mache ich nur sehr ungern. Ich bin eine Frau, ich bin eitel, ich will nichts verstecken müssen. Ich will mich nackt vor dem Spiegel absolut super fühlen. Ich will in einem superknappen Bikini den Strand entlangrennen und nichts an meinem Arsch, meinen Beinen oder meinem Bauch bewegt sich, ja, natürlich will ich den perfekten Körper, hallo? So Gisele Bündchen-mässig, ganz klar!!

Ok, gut, das kann ich vergessen. Zu hohes Niveau. Ich geb mich also schon zufrieden mit einem normalgewichtigen Körper, an dem nicht zuviel hängt und schlabbert.
Denn um mich zu kasteien, bin ich einfach zu faul. Ich fresse zu gerne und hasse Sport.

Aber überall wird einem ja gepredigt, dass ohne Bewegung nichts läuft. Schon gar nicht in einer Stadt in Zürich, die ja irgendwie die schlankste der Welt ist oder so. Alle rennen hier rum in ihren Jogging-Outfits und Yoga-Matten, schwimmen quer durch den See oder erklimmen den Üetliberg zu Fuss. 
Nicht meins. 
Aber natürlich nagt auch an mir das schlechte Gewissen:
Was machst du denn, Bitterbös, wenn deine Gelenke total einrosten? Dein Herz verfettet? Wenn du voll die Rückenschmerzen kriegst? Oder nicht mehr die eine Treppe zu deiner Wohnung raufkommst, weil du keine Puste mehr hast? Und noch schlimmer: wenn du dann die einzige bist in Zürich, der es so geht???
 Also, und somit quäl ich mich dann eben doch ab und zu ins Fitness. Genauer gesagt ins Tanz-Studio, denn ohne Gruppenzwang geht's nicht. So ganz allein beim Bankdrücken würde ich mich schon nach drei Minuten wieder davonschleichen, aber inmitten einer Horde voll topmotivierter Zumba-Girls gibt's kein Entrinnen. Und auch den Augen des brasilianischen Instruktors (natürlich mit perfektem Sixpack und zwei stahlharten Pobacken, die ohne Anstrengung Nüsse knacken - was auch den Fakt erklärt, dass seine Kunden nur weiblich sind oder schwul) entgeht nichts: "Wo seien eure Hufte, schon in Pension??? Und wo ihr habt die Armen?? Zu Hause??? Keine Tschokolatschi mehr!!"
Ja, und dann sehe ich mich da in der verspiegelten Wand so rumhampeln, und es sieht leider überhaupt nicht so aus wie in dieser Zumba-Werbung im Fernsehen, wo der ganze Saal perfekt synchron mittanzt und alle die Schritte aus dem FF beherrschen und keiner einen Fehler macht. Ich bin zum Glück selten die Schlechteste, aber auch weit von der Besten entfernt. Meine Performance erinnert mich jeweils an eine Mischung aus Riverdance und Sackhüpfen. Und zum Glück übertönt die laute Latino-Techno-Musik mein verzweifeltes Geschnaufe.

Aber ja, es macht Spass. 

Also, manchmal. 

Ok, selten. 

Naja, es ist eigentlich ganz gut aushaltbar. 
Wenn man von dem ganzen Geschwitze absieht. Vom Brennen in den Oberschenkeln.  Und vom quälenden Gedanken, dass man jetzt doch eigentlich auch ganz gemütlich im Bett liegen könnte.

Einmal verirrte ich mich im Tanz-Studio in eine Stunde, unter dessen fancy-englischem Titel ich mir gar nichts vorstellen konnte. Aber ich merkte sehr bald: das musste übersetzt "Stirb langsam und qualvoll" heissen. Wir mussten da wie die Wilden auf so einen Stepper rauf- und wieder runtersteigen, rauf und runter, so ca. 53'981mal, die Knie gefälligst schön hochziehen, und natürlich im Takt der Musik, der nicht gerade langsam war. 
Und wer nun glaubt, das sei schon Folter genug - neeee-heeeeiiiiinnn, you wish! Zwischendurch mussten wir das Ganze noch mit Hanteln machen, rauf auf den Stepper, runter und dazu die Arme mit den Gewichten in alle Himmelsrichtungen strecken. 
Ich wollte wirklich sterben, und zwar freiwillig! Aber diesen Gefallen machte mir die Instruktorin nicht, denn ihre Palette an Folterinstrumenten war noch lange nicht aufgebraucht. Als nächstes mussten meine Leidensgenossinnen und ich uns auf so ein Gummiband stellen und die Enden bis unter die Brust hochziehen, und das auch mindestens 4302mal.
Als wir uns gegen Schluss dann endlich alle auf unsere Matten legten, schöpfte ich wieder Hoffnung, und meine Lebensfreude kehrte ein bisschen zurück. Aber ich freute mich zu früh, denn wir durften nicht ausruhen, sondern mussten Situps und Liegestütze machen.

Ich wusste gar nicht, dass ich so viele Muskeln habe, und dass die alle schmerzen können. Aber ich lernte das, am Tag darauf.

Aber ja, doch, es macht schon Spass. Moll. Sport ist schön.
Also, immer hinterher, wenn man rauskommt und sich zu Hause nackt vor dem Spiegel einbildet, man sehe nach einer Stunde Zumba schon die positiven Effekte. Und wenn man nicht mehr ganz so ein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man sich mit zwei Tafeln Tschokolatschi aufs Sofa fläzt.



Mittwoch, 22. April 2015

24 Sommer und der Rest

Es ist ja schon geil: kaum geht nach einem gefühlt unendlichen grauen und arschkalten Winter die Sonne wieder auf, erreichen die Temperaturen knapp den zweistelligen Bereich über 0 und riecht es ein kleines bisschen nach Frühling - schon nehmen viele in dieser Stadt ihre Sommerkleider aus dem Schrank: Trägershirt, Flip-Flops, kurze Hosen und Röcke, dazu die obligate Sonnenbrille.
Und natürlich geniesst man nun auch wieder die Mittagspause draussen, kaut sein Sandwich an einem Tischchen auf dem Trottoir vor dem Café und geniesst auch sein Feierabendbier dort. Oder schleppt den Gasgrill auf den Balkon, um den ersten Cervelat des Jahres an der frischen Luft zu braten. Die ganz Mutigen gehen sogar schon zur Feuerstelle im Wald. Und die ganz ganz Mutigen springen  schon in die Limmat für einen erfrischenden (=tieffrierenden) Schwumm, und zwar nicht etwa im schützenden Neopren-Anzug, sondern in der Badehose.
In der NEUEN Badehose, wohl gemerkt, denn kaum zeigen sich ja die ersten Sonnenstrahlen, findet man in den Kleidergeschäften keine Jacken und Schals mehr, sondern nur noch Strandmode, T-Shirts, Hotpants und Sandalen.
"Entschuldigung, ihr händ doch da son es schöns, blaus Strickchleid gha..." - "Ou, Sie, das isch scho lang weg, das isch vo dä Winterkollektion gsi, jetzt hämmer d Summerchleider!"
Draussen ist es knapp 12 Grad, aber egal.
Und die neuen Klamotten müssen natürlich auch gleich vorgeführt werden, wahlweise zusammen mit dem fleissig trainierten Sommerbody, auf dem Laufsteg am See am besten, wo man sich auf dem mitgebrachten Tüechli auf der Chinawiese dem hellen Himmelskörper entgegenstreckt und den Schauer unterdrückt, der einem über die Haut läuft, wenn sich eine Wolke davorschiebt und es merklich kühler wird.

Ja, und wenn ich dann vorbeilaufe, so in meinem wattierten Kurzmantel, den Stiefeln und dem Schal, darunter die Fettpölsterchen versteckt, die ich mir über Weihnachten und Ostern angefressen habe (obwohl schokoladentechnisch bei mir eigentlich das ganze Jahr über Weihnachten und Ostern ist), bei jedem Windchen vor Kälte zitternd, ja, dann schallt es gleich von links und rechts in den grellsten Tönen: "Hey, neeeiiii, Bitterbööös, es isch im Fall huere warm!! Schwitzisch nöd?? Bisch chrank??!!"
Nein, bin ich nicht. Aber ihr seid es bald, all ihr hippen Frühlings-Sonnen-Anbeter in euren kleinen Fetzchen Stoff! Dann nämlich, wenn das Wetter von einem Tag auf den anderen wieder umschlägt, denn der April macht ja bekanntlich, was er will. Und plötzlich ist es wieder arschkalt und grau und es pisst, und dann höre ich sie alle klagen, ooohhh, Blasenentzündung, Grippe, Halsweh, Schnupfen!! Und der Frühling ist so schnell für sie vorbei, wie er begonnen hat, denn wahrscheinlich kommen sie gar nicht mehr aus dem Bett, bis das Wetter endlich konstant schön und warm bleibt, also bis im Juli oder so.

Für mich gibt es nur Heiss und Kalt, also Sommer und der ganze Rest. Die fette Jacke wird nicht in den Schrank gehängt, bis es draussen gegen die 30 Grad geht. Ich springe in kein Gewässer, wenn ich draussen vor Hitze nicht fast schmelze (und ehrlich gesagt ertrinke ich auch dann fast, weil ich mich vor lauter Schockstarre nicht mehr bewegen kann - übrigens auch im Hallenbad). Ich trinke meinen Kaffee an keinem Tischchen, auf den ein Baum oder ein Sonnenschirm Schatten werfen. Und das Träger-T-Shirt ziehe ich nur auf Reisen in den Tropen an oder in der Wüste.

Ja, man könnte tatsächlich behaupten, dass ich eine Memme bin. Ein "Gfröörli". Eine Tussi, eine Züri-Tussi.

Aber ich hab wenigstens nie Schmerzen beim Pissen.