Sonntag, 8. Juni 2014

3 Fuck you, Sommer!

Jetzt kommt sie wieder raus, die Sonne. Die Temperaturen steigen über die magische 30-Grad-Grenze. Das ist jeweils der Startschuss für die Medien, halb Amok zu laufen: "Hitzetage!! Tropennächte!! Oh Gott, wie überstehen wir das bloss?! Wir zeigen euch die hippsten Badis, die geheimsten Schattenplätze!!" Man könnte meinen, Sommer sei nur so alle vier Jahre, wie die Fussball-WM. 
Also, kaum zeigen sich die ersten Sonnenstrahlen und kaum kann man den Mantel endgültig im Schrank verstauen, kriechen sie in Zürich aus allen Löchern, die Hotpants und Trägershirts, die Ray Bans, Panamahüte und Havaianas. Alles legt sich in Pärke, an Flüsse und den See. Die Strassencafés platzen aus allen Nähten, an jeder Ecke werden eigekühltes Bier und Hugo geschlürft, die Gasgrills laufen heiss auf jedem Balkon.
Ich weiss nicht, woher dieser Drang kommt, sofort aus dem Haus flüchten zu müssen, sobald es draussen warm ist und die Sonne scheint. In der Hitze zu Hause bleiben = Todsünde. Sich nicht allen anderen in seinen neuen Sommerklamotten zeigen und sich demonstrativ am schönen Wetter ergötzen = kriminell. Hmmm, dieses ungeschriebene Gesetz muss irgendwie ein mitteleuropäisches Ding sein, denn in Spanien, Brasilien oder Indonesien hat mir noch nie jemand gesagt: "Hui, heute ist das Wetter aber toll, da müssen wir ganz dringend raus, sonst passiert etwas ganz Schlimmes!" Im Gegenteil, man bleibt lieber nahe einer Klimaanlage. Ok, klar, dieser Vergleich hinkt etwas, wir sind in der Schweiz ja jetzt auch nicht gerade soooo verwöhnt mit Schönwettertagen wie etwa in Brasilien. Trotzdem gibt es auch hier ganz sicher nicht nur einen einzigen pro Jahr. 
So benehmen wir uns aber.
Oh Gott, die Sonne scheint und es ist heiss, jetzt bloss nicht in der Wohnung bleiben, bloss nicht!! Alles muss raus, ins Freie, weil sonst... sonst... ja, WAS denn eigentlich??
Nichts, seien wir doch ehrlich! Wenn ich drinnen bleibe, wenn es draussen Sommer ist, geht die Welt nicht unter, ich habe nicht sieben Jahre Pech, der Himmel fällt mir nicht auf den Kopf. Es passiert einfach genau NICHTS!

Glaubt ihr nicht?
Gut, ich mache die Probe aufs Exempel und bleibe bei 30 Grad im Schatten zu Hause. Noch viel schlimmer: im Bett! Ja, kommt das jetzt drauf an, ob ich auf einer Wiese auf meinem Strandtuch penne oder in meiner Wohnung auf meiner Matratze? Also! 
Alle Whatsapps mit "Was machst du heute?" und "Badi?" schlage ich aus. Ich trinke nicht Hugo, sondern Hahnenwasser. Ich schlecke kein Glacé, weil ich keins im Tiefkühler habe. Ich trage nicht meinen neuen Bikini, sondern einfach nur Baumwoll-Unterwäsche. 
Was ich draussen so "verpasse", kriege ich in den Medien mit, in den digitalen und sozialen. Ich lese mich durch die Temperaturen in sämtlichen Schweizer Städten. Ich scrolle mich durch Fotos von fröhlichen Menschen an Gewässern, auf Bergen und Dachterrassen. Durch Selfies mit Sonnenbrille und Ben&Jerry's. Fuck you, Sommer, mir doch egal!
Aber das schlechte Gewissen kommt natürlich prompt. Um Gottes Willen, draussen ist Sommer und ich gehe nicht raus!!! Das Leben zieht an mir vorbei!! Ich habe mir grade sämtliche Karrierechancen verbaut!! Mir eine unheilbare Krankheit eingebrockt!! Die Liebe meines Lebens verpasst!! Durch meinen Egoismus alle meine Freunde verloren!! Scheisse, ich bin nicht... NORMAL!!

Aber ich bleibe hart, also, im Bett.

Versteht mich nicht falsch: ich bin ein Sommerkind und eine Züri-Tussi, ich liebe Sonne, ich liebe Wasser, ich liebe heiss, ich liebe kurze Kleider und Hugo.
Aber ich bin eben auch launisch, und manchmal habe ich einfach keine Lust auf nichts. Auch wenn mir die Medien und meine Mitmenschen etwas anderes weismachen wollen.
Schreibt doch mal: "Heute schifft es Bindfäden, wir zeigen euch die trendigsten Plätze, um in den Pfützen zu planschen!" Postet doch mal Selfies von euch im unsexy dicken Skianzug, wie ihr im Schneesturm mühsam durch eine Eiswüste stapft. Nicht so geil, oder? Hedonismus und Selbstinszenierung kommen im Regen und eingemummelt wie eine Mumie eben nicht so gut zur Geltung wie halbnackt in der Sonne am Oberen Letten.

Und übrigens: mein Leben ist nach diesem Sommertag im Bett immer noch dasselbe. Und das derjenigen, die sich draussen mit den anderen tummelten, auch.



Samstag, 31. Mai 2014

2 Immer mitten in die Fresse rein

Das Leben überrascht mich doch immer wieder. Ich meine, das reale. Ab und zu poppt es nämlich im virtuellen auf, so wie ein unerwünschtes Werbefenster auf einer Internetseite, und reisst uns aus unserer Social media-Lethargie. Ich meine, wenn man sich so auf Facebook, Twitter, Instagram und Co. tummelt (und ich habe das Gefühl, einige tummeln sich dort intensiver als im richtigen Leben), dann kriegt man ja so ein gewisses Bild von der Welt um einen herum. Meistens ist das gaaaaaaaaanz doll und positiv, also, allen geht es supergut, sie sind mega glücklich, sie haben immer Ferien, total erfüllende zwischenmenschliche Beziehungen und alle ihre Träume gehen immer in Erfüllung. Klar. Auch wenn man diese Leute dann mal live auf der Strasse trifft, dann halten sie den schönen Schein natürlich aufrecht: "Jaja, alles ok, mir geht's perfekt. Probleme? Langeweile? Ich doch nicht!"
Ähäää. Und dann kriegt man das total schlechte Gewissen, weil es einem selber natürlich nicht so gut geht - auch wenn man das weder im Internet noch im Smalltalk zugeben würde.

Da ist also zum Beispiel dieser Typ, nennen wir ihn Fredy. Ich kenne ihn nur sehr flüchtig, er ist kein Freund von mir, eben nur wieder so ein "Friend". Nach einem kurzen Kennenlernen im realen Leben vor ein paar Jahren kriege ich ihn jetzt praktisch nur noch über Facebook mit. Aber OH MY GOD! Er ist so ziemlich der bestaussehendste Mann der Stadt Zürich! Ehrlich jetzt. Er sieht grossartig aus, er spielt natürlich in einer Rockband, ist mega beliebt, hat zehntausende Freunde und Friends. Fredy ist einer dieser Männer, die auch mit Zigarette im Mundwinkel, ungewaschenen Haaren und nach fünf durchgefeierten Nächten noch umwerfend aussehen. Ja, er ist der Wahnsinn und weiss es natürlich auch. Deshalb bewegt er sich auch mit dieser unbeschwerten, sexy Nonchalance durchs Leben, die die Frauen wahnsinnig macht und die anderen Männer depressiv. Fredy könnte sie alle haben, und irgendwie haben wir wohl auch alle insgeheim gehofft, die Wahl werde auf uns fallen. Naja, irgendwann hat er sich offenbar für eine entschieden, denn plötzlich war Fredy auf Facebook Vater. Und wir gingen leer aus.

Scheisse!, dachte ich. Jetzt der auch noch! Was um Himmels Willen hat diese Frau, mit der Fredy ein Kind macht? Die er aus der Masse der Millionen Frauen auserkoren hat, seinen Samen zu empfangen? Sich für ewig an sich zu binden? Und warum verdammt nochmal bin diese Frau nicht ich?! Wieso falle ich in dieser Masse nicht auf? Wieso kriegen immer die anderen das Stück Drei-Königs-Kuchen mit dem Plastikfigürchen drin und nicht ich? Fredys Frau muss eine Prinzessin sein, ein Top-Model, eine wahnsinnig schöne Fee mit einer so tollen Aura, dass sie alle Menschen um sich herum in Null Komma nichts in ihren Bann zieht. Wieso ist mein Leben nicht so hollywood-perfekt, so magisch, so glücklich???
Ich war überzeugt, Fredy gehe jetzt auf einer rosa Wolke durchs Leben, und seine Kindsmutter natürlich auch.

Aber wie gesagt, manchmal holt einen die Realität eben plötzlich ein, unerwartet, aber nicht so unerwünscht wie eine saudoofe Pop-up-Werbung.  
Ich stehe also so in der Migros vor dem Käseregal. Und wer steht plötzlich neben mir? Ja, Fredy. Ewig lange nicht mehr gesehen. Also, ausserhalb von Facebook jedenfalls . Er ist immer noch cool und schön. Aber oh-oohh! Unter seinem Hemd wölbt sich jetzt tatsächlich ein kleines Bäuchlein. Ausserdem hat er tiefe Augenringe und wirkt sehr abgeschlagen. Die Jeans sitzt ihm irgendwie schlecht auf den Hüften. Diese sexy Energie, die ihn einst umgab, ist verschwunden. Liegt vielleicht auch am Käse. Aber Fredy interessiert sich gar nicht dafür, er ist nämlich pausenlos mit seinem Handy beschäftigt. 
Zwei Meter neben ihm steht eine junge Frau ebenfalls über ihr Smartphone gebeugt. Hübsch, aber jetzt nicht so WOW-DAS-MACHT-MICH-JETZT-GRAD-SUIZIDAL-hübsch. Nichts besonders. Kein Wesen von einem anderen Stern. Hinter ihr steht ein Kinderwagen, zwei kleine Beinchen im gestreiften Strampler gucken raus. Ich kombiniere: das ist Fredys Familie. Auch wenn es überhaupt nicht den Anschein macht. Keiner nimmt den anderen wahr. Es wird nicht miteinander gesprochen, sich nicht angeschaut, nur monoton auf die Handytastatur eingehämmert. 
Ich weiss nicht warum, aber ich fühle mich plötzlich ein bisschen unwohl. Ich schleiche mich darum rasch weg, bevor Fredy vielleicht noch einfallen könnte, dass ich ihm irgendwie bekannt vorkomme. Mein Herz klopft wie verrückt, wie immer, wenn ich ihn sehe. Aber das erste Mal nicht, weil ich ihn so geil finde. Denn diesmal tut mir sein Anblick fast etwas weh, aber gleichzeitig muss ich auch grinsen. Weil es doch so absurd ist! Ich meine, SCHEISSE!! Rocker-Fredy! DER Frauenschwarm-Fredy! MEIN Traum-Fredy! Nicht auf der Bühne vor dem Mikro! Nicht lässig mit dem Bier in der Hand vor irgendeinem Zürcher In-Club, umringt von unzähligen interessierten Damen! Nein, in der Migros! Vor dem Käseregal! Mit Frau und Kind! So unglamourös. So normal. Und er ist sichtlich abgekämpft und irgendwie - gelangweilt. Oder langweilig. 

Es ist doch so: manchmal muss einem die Realität eben mal wieder so richtig eins mitten in die Fresse hauen, damit man aus dieser geistigen Umnachtung aufwacht, die einem die mediale Welt gemischt mit der eigenen Züri-Tussi-Fantasie eingebrockt hat. Das wahre Leben bricht halt immer irgendwann durch die virtuelle Eierschale. So wie eine schöne, zarte Blume durch den harten Asphalt. 

Ich hoffe wirklich, Familie Fredy geht es gut. Aber ich glaube, mir geht's besser.



Montag, 26. Mai 2014

1 Hallo, Friends!

Letzthin fahre ich mit dem Velo auf der nächtlichen Langstrasse zu diesem 24-Stunden-Shop, der immer sämtliche hungrigen und durstigen Nachtschwärmer anzieht. Ich brauche dringend Zucker. Ich parkiere mein Velo also direkt vor dem Schaufenster des Shops und schliesse es ab. Neben mir tut es mir ein anderer gleich, wir richten uns gleichzeitig von unseren Kettenschlössern auf und unsere Blicke treffen sich kurz.
Ich erkenne ihn. Gut, mir fällt sein Name nicht grad ein, aber ich erkenne ihn.
Er mich nicht. Jedenfalls geht er wortlos an mir vorbei.

Mit der Schokolade zu Hause logge ich mich sogleich auf meinem Laptop ein, denn ich weiss: der Typ und ich, wir sind Facebook-Freunde.
Ah, da ist er, genau! Wie konnte ich den Namen nur vergessen! Vor noch nicht so langer Zeit hatten sich eine Freundin und ich mit diesem netten Herrn so einige Zürcher Nächte um die Ohren geschlagen. Sie kam ihm dabei etwas näher als ich. Jetzt verbindet sie nicht mehr allzu viel mit ihm. Und mich gar nur noch Facebook.
Krass, nicht, diese modern times? Man ist verbunden auf einem Online-Portal, auch wenn man sich im realen Leben nicht mal mehr grüsst.  Gut, man kann sich natürlich einfach "unfrienden". Aber das gilt als ziemlich unhöflich.
Egal, nach diesem nächtlichen Treffen an der Langstrasse ist es wohl mal Zeit, meine Liste an Facebook-Freunden durchzugehen.

Da wäre also A. Vor x Jahren kennengelernt, irgendwann in den frühen Morgenstunden in einem  Zürcher Club, der heute längst geschlossen ist. Ein einziges Mal hab ich mit dem geredet. Trotzdem weiss ich, dass er mittlerweile Vater ist. Irgendwie herzige Fotos das, den kann ich nicht unfrienden, das bring ich nicht übers Herz.

Oh, und hier B. Mit der war ich mal in der Schule. Seither habe ich sie nie mehr live gesehen, weiss aber, dass sie heute Mitglied einer bürgerlichen Partei ist. Daraus macht sie in ihren Posts auch keinen Hehl und nervt regelmässig mit konservativer Propaganda. Aber ich weiss nicht, die gemeinsame Schulzeit verbindet doch irgendwie...

C. Wir waren mal kurz Arbeitskollegen. Ich fand ihn einen Riesen-Löli. Wieso also sind wir eigentlich überhaupt Friends? Hmmm... Comon, jetzt mach schon, Bittersüss, drück den Button! Ok, unfriended!

Der D nervt auch regelmässig. Jeden Tag tausende Posts über sein langweiliges Leben. "Hallo, ich esse grad das, ich kucke grad diese Serie, ich bin grad in den Ferien." Dazu unzählige schlechte Hipster-Selfies, die von seinen genauso langweiligen Hipster-Friends fleissig geliked werden. Naja, der tut mir irgendwie Leid, eine Unfriendung ist für den wohl eine persönliche Niederlage, eine Demütigung, ein Versagen. Den behalt ich mal lieber, der legt sich sonst noch vor den Zug...

Oh Gott, die E! Hält sich für unentbehrlich für diese Welt! Ich weiss ALLES über ihr Berufs- und Familienleben, weil es ist ja sooooooo speziell, unglaublich! Mein Lieblings-Foto von ihr ist das Ultraschall-Bild ihres ungeborenen Babys (gleich nach dem vom Hochzeitskuss). In 15 Jahren wird ihr ihre Tochter eins in die Fresse hauen, so wegen Datenschutz und so. Himmel, das Ganze ist so stupide, dass es schon fast wieder Kult ist. Wir bleiben Friends.

Dass die F gaaaaaanz dolle verliebt ist, weiss ich auch schon seit Jahren. Und wie das aussieht, wenn sie mit ihrem Typen auf dem Sofa knuddelt. Oder im Meer badet. Oder seine Eltern besucht. Oder ihm zum Geburtstag gratuliert. Ich würde sie soooo gerne schlagen - äh! - unfrienden, aber leider treffe ich sie regelmässig im realen Leben. Das könnte peinlich werden, deshalb lass ich es. Scheisse.

G, H und I. Verflossene Liebschaften. Wer weiss, kann man ja vielleicht irgendwann mal noch brauchen. Behalt ich also lieber. Ausserdem hab ich ja auch meinen Stolz. Einen Typen aus Facebook schmeissen, weil wir uns getrennt haben? Dann glaubt der ja wahrscheinlich noch, mir läge was an dem! YOU WISH!!

J, K, L und M sind Geschwister und Freunde von Ex-Freunden. Hab ich überhaupt keinen Bezug mehr zu denen, aber naja, sie haben ja schliesslich nichts dafür, gingen meine Beziehungen in die Brüche. Auch behalten. 


Ok, magere Bilanz. Grad mal eine einzige Unfriendung. Hab wohl einfach ein zu grosses Herz.
Jetzt sind auf meinem Profil also immer noch mehr als 300 Facebook-Friends übrig. Cool, ich muss ja unglaublich beliebt sein! Pure Love! Mir geht's super - virtuell.
Hmmm, weiss nicht. Irgendwie wären mir so Gespräche face to face und drei Küsschen und ein gemeinsamer Martini bianco und so viel lieber.
N, den Nachtschwärmer vor dem 24-Stunden-Shop an der Langstrasse, unfriende ich deshalb auch nicht. Das nächste Mal, wenn wir uns im realen Leben treffen, werd ich ihn ansprechen, nehm ich mir vor. "Hey, wir haben uns im Fall auf Facebook geadded, wir kennen und mögen uns also, darum: Hoi, wie geht's?"