Dienstag, 31. Oktober 2017

77 Die Geschichte mit dem P.....

Letztens ist mir eine uralte Geschichte aus meinem Leben wieder eingefallen:

Es ist wohl so 17 Jahre her (scheisse, bin ich alt!). Ich war noch Studentin (scheisse, bin ich ALT!!), und quetschte mich eines abends, es regnete in Strömen, in ein total überfülltes Züri-Tram in Richtung HB (ich wohnte damals noch in der Agglo - SCHEISSE, BIN ICH ALT!!!).
Es war so eng, dass ich nicht mal bei einer Vollbremsung hingeknallt wäre. Sardinenbüchse par excellence.
Plötzlich merkte ich irgendwas an meinem Gesäss. Da presste etwas dagegen. Oder bildete ich mir das nur ein? Zuerst war noch meine Umhängetasche dazwischen (eine blauweissrote aus Leder mit dem gallischen Hahn drauf, ich erinnere mich noch genau - alle Frankreich-Fans hatten immer ihre helle  Freude an mir,  mir aber gefielen einfach die Farben so gut). Aber als die sich langsam zur Seite schob, spürte ich es ganz genau: Etwas rieb sich an meinem Hintern, oder besser gesagt: Jemand. Noch besser gesagt: Ein gewisses Körperteil von jemandem.

Weil ich mich kaum bewegen konnte in dieser Masse von Pendlern, gelang es mir auch nicht wirklich, mich umzudrehen. Ich verrenkte mir fast den Hals, um hinter meinen Rücken zu schauen, und aus dem Augenwinkel konnte ich schliesslich einen Typen im Trenchcoat ausmachen. Er hatte einen Schirm dabei, das weiss ich noch, sein Gesicht allerdings ist in meinen Erinnerungen längst verblasst. Wohl aus gutem Grund, denn sich so jemanden zu merken, lohnt sich echt nicht, sagte sich mein Hirn offenbar.




Ich versuchte, ruhig zu bleiben. Das ist doch nur sein Schirm, redete ich mir ein.
Ok, nein, den hat er ja unter dem Arm, der reicht nicht bis zum meinem Arsch hinunter.

Aber es ist ja so eng im Tram, es ist ja wohl auch völlig unmöglich, mich NICHT zu berühren.
Das wohl nicht, aber dass jetzt ausgerechnet sein PIMMEL an meinem Arsch parkiert werden musste, hätte sich doch eigentlich verhindern lassen, oder nicht? Und wieso bewegt der sich hin und her, wenn wir hier doch alle so komplett eingequetscht sind? Das können jetzt nicht die verbogenen Schienen im stadtzürcher Tramnetz sein, dass es so ruckelt, oder? Wäre mir jedenfalls noch nie aufgefallen vorher...

Ok, der Fall war klar, es liess sich nicht schönreden: Da nützte gerade einer den Stossverkehr (hihi, passendes Wort!) aus und geilte sich an mir auf.

Was tun? 
Losschreien und den Typen mit allen Schimpfwörtern eindecken, die mir gerade so einfielen, so dass das gesamte Tram zu uns rüberstarren würde?
Nach hinten ausschlagen, so gut das in dieser dichten Masse ging und hoffentlich IHN am Schienbein treffen und nicht die ältere Damen neben ihm?

Nun, ich war jung und noch etwas schüchterner als heute. Ich wollte für keinen öffentlichen Aufstand sorgen. Das wäre mir peinlich gewesen. Ausserdem schwirrte immer noch der Gedanke in meinem Kopf herum, ich könnte mich ja doch irren. Und wenn das auch nicht so war: Der Typ könnte genau das behaupten, er habe ja schliesslich nichts dafür, müsse er so dicht an mir stehen, und das sei seine HAND und nicht sein Geschlechtsteil. Und dann stünde ich als komplett durchgeknallt da.

Also, hielt ich schön brav die Schnauze.

Am HB hielt das Tram und alle stiegen aus. Ich dachte: "Jetzt!" und sah mich nach dem Perversling um. JETZT könnte ich ihm endlich meine Meinung sagen, ohne, dass wir gleich 200 Zeugen hätten. Aber natürlich waren der Typ und sein Schirm so schnell weg, wie ich gar nicht kucken konnte. Ich schaute über meine Schulter hinter auf das Stück Mantel über meinem Hintern. 
Da waren weisse Flecken drauf...

Ende der Geschichte. 

Hätte es damals schon Social Media gegeben, hätte ich sie mit #MeToo posten können. Ok, ich könnte das auch heute noch machen, ist ja gerade in, Männer an den Pranger zu stellen, die Frauen falsch angefasst, falsch angequatscht, falsch behandelt haben.

Aber wisst ihr was? 
Ich habe keine Lust dazu. 
Und ich halte es auch nicht für nötig.

Als Frau macht man so ähnliche Erfahrungen wie ich damals im Tram wohl öfters im Leben. Das heisst jetzt nicht, dass ich das Ganze als harmlos abtue und damit sagen will: "Girls, live with it!"
Nein, natürlich ist das scheisse, wenn einem jemand seinen Pimmel an den Arsch drückt, ohne dass man ihn zuvor darum gebeten hätte! Und NEIN, das geht wirklich nicht!!
Aber das ist etwas, dass ich solchen Männern gerne persönlich sage - also, normalerweise, beim Tram-Arschloch habe ich es halt vergeigt. Ich muss mich nicht im Internet über sie auslassen und wutentbrannt klar machen, dass ich eben AUCH so ein armes Opfer lüsterner Doofköpfe bin.

Denn ich BIN kein Opfer! Und ich will auch keines sein!

Ich kann mich wehren, und hätte das damals auch im Tram gekonnt.
Ich hätte ihm eine runterhauen, ihn zusammenschreien oder ihn anzeigen können, wenn es mir danach besser gegangen wäre. 
Aber nur, weil jetzt gerade bestimmte Hashtags trendy sind und es plötzlich allen Frauen dieser Welt einfällt, dass sie ja auch irgendwann mal unsittlich betatscht wurden und dass das eigentlich gar nicht geht, muss ich mich nicht öffentlich und für alle ersichtlich im Netz darüber auslassen und am besten auch gleich alle Menschen mit einem Y-Chromosom unter Generalverdacht stellen (wow, das ist glaub's der längste Satz in diesem Blog ever!). 
Der Typ im Tram war kein Produzent, der systematisch seine Macht-Position ausnützte. Ich finde, das ist dann schon eine andere Dimension, und wenn es niemand schafft, einem solchen Schmierfinken das Handwerk zu legen, dann kann man auch öffentlich vor ihm warnen.
Aber der mit dem Regenschirm war einfach nur ein sehr trauriger Zeitgenosse, der offenbar ausserhalb eines vollgestopften Trams keine Frau abkriegt. 
Ehrlich gesagt, bin ich nicht mal wütend auf ihn. 
Er tut mir leid.

Frauen, wehrt euch! Aber sofort, wenn sowas passiert, und nicht 17 Jahre später online! 

Samstag, 7. Oktober 2017

76 Glücklicher, magerer, allergiefreier Käse

2017, ich lade ein zum vorweihnachtlichen Raclette-Spass, wie jedes Jahr:

Gast 1: "Waaaassss, du kommst erst jetzt damit? Sowas musst du im Frühsommer verschicken, vor Weihnachten bin ich immer total ausgebucht!!"

Gast 2: "Ouuuu, Raclette...! Weisst du, seit ich schwanger bin, vertrag ich nichts Schweres..."
Ein paar Kartöffelchen?
"Aber nur schon der Geruch von Raclette dreht mir den Magen um...!"
Cornichons. Die geilen, mit Knoblauch.
"Ich komme!"


Gast 3: Moment, den kann ich ja gar nicht einladen, der ist ja Veganer. Oder gibt es veganen Raclette-Käse? Mal googlen... 
Bei Coop und Migros nicht. 
Ah, kann man selber machen. 
...
Was bitte ist Hefeschmelz? Cashew-Crème?
...
Viiieeel zu kompliziert! Wird dann mal zum Gemüse-Couscous eingeladen.

Gast 4: "Ich ess dann aber keine Kartoffeln, ich muss abnehmen."
Aha, und Käse macht nicht dick?
"Neee, der hat doch keine Kohlenhydrate!"

Gast 5: "Kannst du bitte auch laktosefreien Käse kaufen? Du weisst, ich bin allergisch."
Klar.
"Und Brot anstatt Kartoffeln? Ich esse Raclette lieber mit Brot."
Klar.
"Aber glutenfreies Brot, bitte, sonst bin ich wieder tagelang aufgebläht!"
KLAR! 

Gast 6: "Aber gell, ich trink dann einfach wieder keinen Alkohol, weil, ich mach immer diesen alkfreien Monat vor Weihnachten, ich hab sooo viel getrunken in letzter Zeit, und jetzt geht's dann wieder los mit all den Festtags-Apéros und Familienschläuchen, und da gibt's wieder soooo viel Alkohol überall, ich trink dann einfach Wasser, gell, oder Tee oder so."
Trinkt wieder sechs Glühwein wie letztes Jahr, bin ich sicher.

Gast 7: "Ui, Raclette...! Ich schlaf doch immer so schlecht mit so viel Fett im Bauch! Wieso kannst du nicht mal was anderes machen?"
Wird nicht mehr eingeladen.

Gast 8: "Aber, gell, du kaufst das Raclette dann schon im Chääslädeli und nicht im Coop, weil, der ist nämlich viiiieeeel feiner, und es hat so ganz tolle, spezielle Sorten wie Curry-Banane und Salbei-Mandel-Kreuzkümmel und über dem Tannenholz geräuchert und so, also, das sollte dir das Geld ja schon wert sein, lieber was qualitativ Besseres als diese Massenware vom Coop, und das Geld im Chääslädeli geht fall auch direkt an die Bauern, das ist viiiieeeel fairer, von den Grossverteilern erhalten die ja fast gar nix, ich sag's dir, das ist so eine Schweinerei, und wenn du im Chääslädeli kaufst, dann kannst du auch gleich sicher sein, dass der Käse vom Hof in der Region stammt, wo die Kühe noch glücklich sind und frei auf der Weide herumrennen können und so."
Ah ja? Hast du sie gesehen?
"Nein, aber wenigstens ist es BIO!"

Von dem her: En Guete und fröhliche Weihnachten schon mal! 



Sonntag, 10. September 2017

75 Tschüss oder so

Nun ist es also so weit: 
Ich bin eine Halbwaise.

Ja, tatsächlich: Der grösste Albtraum, der einen schon seit der Kindheit heimsucht, wird eines Tages Realität. 
Eltern sterben. Naturgemäss vor ihren Kindern.
Und deshalb kommt kaum einer drum herum. Auch ich nicht, leider.

Natürlich hab ich mir gewünscht, dass mir das erst passiert, wenn ich selber sehr, SEEEHR alt bin. Aber hey, wen da draussen interessieren die eigenen Wünsche, oder?
Auch hab ich immer gedacht, wenn das erste Elternteil stirbt, dann bleibt die Welt stehen. Dann geht die Sonne nicht mehr auf. Dann halten alle da draussen den Atem an.
Aber auch das traf nicht ein. Das Leben geht weiter. Unerbittlich. 
Und man funktioniert, tatsächlich. Ich hätte das nicht geglaubt, aber es ist so. Man macht einfach weiter.

Der Tod ist ein Arschloch. Nicht unbedingt immer für denjenigen, der stirbt. Aber sehr oft für die Hinterbliebenen. Weil sich für die alles ändert.
Und da macht es nicht wirklich einen Unterschied, ob man sich jetzt mit dem Toten zu Lebzeiten besonders gut verstanden hat oder nicht. Die Welt ist in jedem Fall nicht mehr so wie vorher und wird es nie mehr sein. Und der Mensch ist ein Gewohnheitstier, wer kann schon einfach so mühelos loslassen? Ich jedenfalls nicht. Ergo ist dieser Gedanke, dass eine Ära jetzt für immer vorbei ist, ziemlich beschissen.


Noch beschissener ist, dass die Gesellschaft einem ja irgendwie vorschreibt, wie man zu trauern hat und wie nicht. 

Ob ich mich habe verabschieden können. 
Nicht wirklich. Der Tod war schneller als ich. Und hatte sich angeschlichen. Aber auch, wenn er sich langsam angekündigt hätte: Was hätte ich denn sagen sollen? Irgendwelche magischen letzten Worte, die man nur einem Sterbenden sagen kann, einem in der Blüte seines Lebens aber nicht? Oder einfach "Tschüss!"? Hätte mir oder dem Sterbenden das irgendwie was gebracht? Soll ich wirklich auf eine tote Hülle hinunterschauen und daraus Trost schöpfen?
Kann jeder machen wie er will. Aber dieser Anblick sollte nicht der letzte in meiner Erinnerung sein. Und das macht mich jetzt nicht zu einem lieblosen Arschloch, glaube ich.

Ob ich denn auch mal weinen würde.
Klar, stellt euch vor. Oft sogar. 
Aber tut mir leid, breche ich nicht überall öffentlich in Tränen aus, und möchte ich meine Situation  nicht wieder und wieder aufrollen, vor allen und jedem. Trauer ist persönlich und geht niemanden etwas an. Und auch, wenn ich nicht weinen würde: Es würde nicht bedeuten, dass ich ein liebloses Arschloch bin. 

Wieso kein Mausoleum mit einem Riesenmeer aus Blumen?
Vor allem, weil es nicht dem Wunsch des Toten entsprochen hätte. Und weil ich Trauer, Liebe und Würde nicht mit der Grösse eines Grabs zum Ausdruck bringe. Oder überhaupt mit einem Grab. Weil ich nicht will, dass irgend ein Fremder von der Kanzel herunter etwas über mein totes Elternteil erzählt, dabei hat er es kein einziges Mal getroffen. Weil ich Friedhöfe deprimierend finde und diese riesigen Flächen lieber als Spielplätze für Kinder oder Parkanlagen nutzen würde. 
Und auch das macht mich nicht zu einem lieblosen Arschloch, glaube ich. 

Fakt ist: Wir, die zurückbleiben, müssen mit dem Tod zurecht kommen. Und es ist die grosse Herausforderung, herauszufinden, wie das am besten geht. Da helfen weder Traditionen, noch festgefahrene Denkweisen noch Richtlinien der Stadt. Also, mir jedenfalls nicht.

Ich möchte hier nicht breittreten, wie ich zu meinem verstorbenen Elternteil stand. Was es für ein Leben hatte, was für eine Persönlichkeit, etc. Das ist mir zu intim, und ich überlasse diesen Einblick in die Privatsphäre all denjenigen, die auch gerne Ultraschallfotos ihrer ungeborenen Babys im Internet posten. Und mir dort weismachen wollen, wie wichtig und glücklich ihre Leben doch sind.
Toll, aber wenn man eben ein Leben ausserhalb der social media führt, so mit echten Menschen in der echten Welt, dann ist das nicht nur immer schön. Und das ist sogar ok, weil eben: Richtiges Leben. 
Eines der letzten SMS, das mir mein Elternteil vor seinem Tod schickte, war ein Zusammenschiss. Ich wollte die SMS eigentlich löschen, aber ich hatte damals schon eine Vorahnung. Was, wenn das die letzte Message überhaupt ist...? Ich sollte recht behalten. Und es ist nicht schlimm, haben wir uns in unserer letzten Unterhaltung nicht noch endlose Liebe geschworen. An der zweifle ich ja nicht, ich brauche sie nicht schriftlich. Und auch nicht auf Facebook.
Ich lese die SMS heute noch ab und zu und muss ein bisschen lachen. Sie widerspiegelt einfach das reale Leben. 

Zu dem gehört auch der Tod. 

Ja, ich weiss, das sagen alle. Und es tröstet nicht mal. Ich bin viel zu jung, um Halbwaise zu sein!
Eltern sterben, alle sterben, und man kann nichts dagegen tun. Das ist scheisse. Ich fühle mich scheisse. 
Aber wahrscheinlich irgendwann nicht mehr. Dafür sorgt schon das Leben.