Mittwoch, 30. November 2016

61 Ich bin ja wirklich tolerant

2 Uhr morgens, Mittwoch.
Jetzt reicht's!
Ich bin gerade aufgewacht, unfreiwillig, ich zögere keine Sekunde und springe schlaftrunken aus dem Bett, taumle zur Haustür (der Kreislauf will noch nicht so richtig), hinaus ins Treppenhaus, einen Stock höher, die Sicht verschwommen wegen der verklebten Augen, und klingle beim Nachbarn, der direkt über mir wohnt. Hinter seiner Tür höre ich mindestens sechs verschiedene Stimmen, dazu schlechte Musik, ausserdem steigt mir Geruch von frisch gekochtem Essen in die Nase, es scheppert aus der Küche.

Er macht auf, schaut mich mit grossen Augen an, als stünde ich nackt vor ihm.
Ich hole sofort aus: "Ja, gopferdammi namal, händ Sie mal uf d Uhr glueged, mir müend da ine im Fall alli früeh uuf morn, Sie villicht nöd, aber dasch mir eigetlich egal, das gaht eifach nöd, dauernd dä Krach, ich bin ja würklich tolerant, aber sie chönd nöd jedi zweit Nacht ihri Möbel umstelle, was mached Sie da eigetli, Feng Shui oder was, und überhaupt, weiss d' Verwaltig eigetli, dass sie öppe s Zähte hööch da ine wohned, das isch ganz sicher nöd erlaubt, genau so wenig wie Staubsuuge am Sunntigmorge, das mached Sie au IMMER, und wenn ich frei han, dänn schlaf ich dänn gern mal uus, aber wänn Sie genau über mim Chopf staubsuuged, dänn tönt das so, als würded Sie das grad näb mim Bett mache, ich bin ja würklich tolerant, aber echli Respekt chönd gfelligscht au SIE zeige, sie wohned nöd elei i dem Huus, und die andere Lüüt da ine händ sich nämli au scho beschwert über Sie, mues ich jetzt würklich au no dä Verwaltig alüüte, will Sie sich nöd chönd zämenäh, und übrigens, mer chan Türe im Fall au zuetue, ohni z schletze Sau, und mer chan au in ere Luutstärchi telefoniere, ohni dass ich jedes einzelne Wort verstahne under ine, oder besser gseit, verstah würd, wänn ich ihri Sprach chönnt, und NEI, chömed Sie mir jetzt bloss nöd mit dem, ich seg en Rassischt, min Fründ isch im Fall Dütsche, ich bin UHUERE tolerant, und glaubed Sie mir, wänn ihren Bsuech dauernd bi mir lüüted, wänn Sie nöd dehei sind, demit ich en is warme Stägehuus inelahne, egal um welli Ziit, und wänn Sie dauernd irgendwelchi Drüräder und Go-Karts (wo sind eigetli die Chind? Han i no nie gseh!) eso vor dä Chällerstäge abstelled, dass mer aber au garantiert drüber gheit, dänn isch ihri Nationalität so zimlich s letschte, wo mich a däre ganze Sach interessiert, dänn find ich das eifach nur müehsam und respektlos, und ich bin ja würklich tolerant, Sie chönd au gern mal e Party schmeisse, so drümal im Jahr und am Wuchenend,  aber nöd JEDI VERDAMMTI NACHT, und ja, ich weiss, dass Sie Schicht schaffed, aber ratet Sie mal: Ich au, und ich muess trotzdem nöd am Morgen am 2 min Huushalt mache und es Menü choche und mit mim gesamte Fründeschreis telefoniere, ich bin ja würklich tolerant, aber jetzt bin i gnueg lang uf d Schnurre ghocket, jetzt langet's mer eifach, ich wott endlich mal in Rueh PEEENNNEEEEE, händ Sie das jetzt begriffe oder muen i anderi Saiten ufzieh, gopferdammi nomal???!!!"

                                    

Er schaut mich immer noch ungläubig an und sagt kein Wort, seine Augen wandern an mir auf und ab, und da fällt mir plötzlich ein: Moment mal, ich bin ja tatsächlich nackt!
Denn ich schlafe meistens nur in Unterhosen, Pyjamas mag ich nicht so, ich fühle mich gerne frei im Bett, und da hab ich doch glatt vergessen, mir was anzuziehen, nachdem ich so sauer und im Halbschlaf aus dem Bett gesprungen war.

Also, jedenfalls hätte das genau so passieren können. Ist es aber nicht, ich habe nur meine Angstvorstellung beschrieben. Denn ich fürchte, es würde genau so rauskommen, wenn ich mal meiner Wut nachgäbe morgens um 2 und einfach ohne zu Zögern direkt vom Schlafzimmer zu diesem Typen raufstampfen würde.

Und genau darum mache ich es auch nicht.
Sondern ärgere mich lieber stillschweigend Nacht für Nacht unter meiner Decke.
Denn ich bin ja wirklich tolerant.

Samstag, 5. November 2016

60 Warum Globalisierung auch doof ist

Unsere Welt ist immer vernetzter.
Dank Internet, Fernsehen, Unternehmensfusionen und immer schnelleren Flugverbindungen, vielleicht auch bald dank des Beamens, rücken wir alle immer näher zusammen. Unsere Kulturen verschmelzen miteinander, auch wenn wir uns immer noch gegenseitig doof finden und beschimpfen. Aber wir essen hier halt schon mal gerne Shabu Shabu und Nasi Goreng, gehen am Wochenende an ein Reggaeton-Konzert und tags darauf  in den türkischen Hammam beim Volkshaus zum Entspannen. Am Mittwochabend ist unser Djembé-Kurs und am Donnerstag Yoga. Irgendwo dazwischen muss noch die thailändische Massage rein. Und unsere Kleider stammen von hippen skandinavischen Designern.
Find ich alles ok.
Aber etwas hätten wir wirklich dort lassen können, wo es herkommt, Globalisierung hin oder her:


Halloween.


Wäääks!

Ich meine, ich verkleide mich ja auch ganz gerne. Ich mag Schoggi und Horrorfilme. Aber Halloween kann ich nicht ausstehen. Weil wir im Grunde damit etwas feiern, zu dem wir gar keinen wirklichen Bezug haben, sondern das uns die Medien diktieren.
Heidi Klum übertrifft sich jedes Jahr selber an ihrer Kostümparty. Jimmy Kimmels lässt den Kindern vermeintlich das Halloween-Candy wegfressen.  Gut aussehende, glückliche Promis gehen Kürbisse aussuchen beim Bauern. Herzige Primarschüler ziehen von Tür zu Tür und betteln herzerweichend um Süssigkeiten.
Das sehen wir in der Gala, auf Pro7 und im Internet, und das ist ja sooooo toll, das müssen wir grad auch haben! - dachten sich geschäftstüchtige Partyorganisatoren und engagierte Eltern, die in ihrer spärlichen Freizeit gerne US-Serien kucken und auf Instagram surfen. Mit dem Resultat, dass wir an Allerheiligen jetzt nicht mehr nur auf dem Friedhof singen und beten gehen, sondern uns und unsere Kinder am Vorabend mit Kunstblut bespritzen und in der Arscheskälte draussen die Nachbarn nerven. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Gruselparties, die man ja auch noch besuchen sollte.




Reicht uns denn der gute, alte Räbeliechtli-Umzug nicht mehr, bei dem wir ja auch Gemüse aushöhlen und durch die Nacht wandern können??
Das war für mich im Chindzgi immer das Highlight des Jahres, vor allem die Buchstabensuppe mit dem Würstli hinterher - und von Halloween hatte ich noch nie was gehört.


Halloween ist ein keltischer Brauch, den die Iren in die USA gebracht haben. Macht also Sinn, dass das dort ein wichtiger Feiertag ist. Aber ich glaube, so viele Iren gibt es nicht in der Schweiz, damit sich Halloween auch hier als Tradition hätte etablieren können. Wenn schon, dann schon eher die Quinceañera der Südamerikaner. Oder die persische Neujahrsfeier der Iraner. Hat sich aber alles nicht durchgesetzt hierzulande. Oder kriegt ihr etwa dauernd Einladungen zu Geburtstagsfeiern von 15-jährigen Mädchen? Wisst ihr auswendig, an welchem Datum Nouruz gefeiert wird? Ich jedenfalls nicht.
Und warum nicht? Weil diese Feierlichkeiten halt nicht so präsent sind in den Medien wie Halloween.
Wir schliessen also daraus: wir kucken alle ein bisschen zu viel US-Fernsehen und social media und lassen uns davon beeinflussen.


Aber leider ist halt nicht alles geil, was uns die Medien vormachen und mit dem sich Geld verdienen lässt.
Ich meine, Musik, Kleider und Essen, das sind menschliche Grundbedürfnisse, die wir alle nach der eigenen Lust und Laune stillen können.  Aber Halloween wird einem seit dem Millennium ja richtiggehend aufgezwungen, mit all diesen Horror-Partyflyern im Briefkasten und den Gruselkostümen und doofen Kürbisdekos im Migros! Boah, leider hat noch nie so ein "Trick or Treat"-Kind bei mir geläutet ("Süsses, sonst gibt's Saures!" auf Deutsch klingt aber auch sowas von bescheuert, ein weiteres Indiz dafür, dass Halloween nur im angelsächsischen Raum Sinn macht!), aber das wäre echt mal ein Spass, wenn ich dann so als Horrorclown die Tür aufmachen und ihnen Chiasamen und Tiefkühlspinat in die Hand drücken würde.


Ok, lange Rede kurzer Sinn: die Globalisierung hat durchaus ihre Vorteile, aber ihr grösster Nachteil ist, dass wir hier in der Schweiz nun Halloween ertragen müssen.


Und Valentinstag.


Amen.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

59 Die Nacht der Helden

Es ist nach 1 Uhr morgens. 
Draussen ist es stockdunkel und mucksmäuschenstill (also, so still, wie es im Kreis 4 halt sein kann), ich liege friedlich im Bett. 
Nicht alleine. Zum Glück. 
Nein, nicht, was ihr wieder denkt! 
Ok, doch, das auch, aber das tut jetzt nichts zur Sache! Wir nennen ihn Held, einverstanden? Er wird noch wichtig in dieser Geschichte, ihr werdet sehen! Denn plötzlich rumpelt es in der Wohnung. 

Mein Held schreckt auf. Ich winke ab, die Augen immer noch geschlossen: "Der scheiss Güselsack in der Küche ist wieder mal umgefallen. Macht immer einen hueren Krach."
Es rumpelt weiter. Und weiter. Ziemlich laut.
Ziemlich viel Güsel, denke ich. Was hab ich weggeworfen? Kanonenkugeln? Kann doch nicht sein...
"Hast du das Fenster im Bad wieder gekippt?", fragt mich mein Held plötzlich. 
"Ähm... also... joaah...?"
Ich möchte hier noch anfügen, dass ich im Hochparterre wohne. Im Kreis 4. 
Wir hören, wie etwas in die Badewanne plumpst. Oder springt. Dann spüre ich, wie etwas Kaltes von meinem Magen aufsteigt in Richtung Haarwurzeln, das Blut rauscht in meinen Ohren, es schüttelt mich innerlich, aber äusserlich bin ich wie gelähmt.
"Ruf die Polizei!!" Mein Held schlägt die Bettdecke zurück und geht langsam in Richtung Türe, aus dem Schlafzimmer hinaus in den Korridor.
Ich schaffe es hingegen gerade mal so halb, nach meinem Handy auf dem Nachttischchen zu greifen. Scheisse, wie ging die Nummer der Polizei noch mal?? Und was genau soll ich denen dann sagen?? "Grüezi, bei mir steht irgendein Fremder in der Wohnung, was soll ich jetzt machen? Können Sie kommen? So in 5 SEKUNDEN? Denn so lange braucht der ungefähr vom Bad ins Schlafzimmer!"
Die Gedanken rasen in meinem Kopf, während ich immer noch aufrecht und steif wie eine Schaufensterpuppe auf dem Bett sitze.
Soll ich einfach davonrennen? Bin ich schneller als der an der Haustüre? Schreien oder nicht schreien, was schreckt ihn mehr ab? Will er mein Geld oder will er mich? Uns? Oder vielleicht besser gleich durchs Fenster? Shit, aber ich trage keine Kleider! Das geht nicht, da erfrier ich ja! Was ist mir denn lieber: Von dem vergewaltigt und erstochen werden oder den Kältetod sterben? Oder  überleben, aber alle meine Habseligkeiten verlieren (scheisse, mein Laptop!! Hab ich meine Daten eigentlich alle in die Cloud geladen??)? Was tut denn am wenigsten weh?? 
Und wenn er auf meinen Helden losgeht? Was mach ich dann? Um Hilfe schreien? Ihn opfern, um selber zu überleben??

So viele Gedanken, gedacht in rund 1,3591 Sekunden.
Dann hören wir, wie es nochmals rumpelt, der Eindringling hat uns offenbar gehört und Schiss gekriegt - der Rest ist Schweigen.


Wie zwei Ölgötzen stehen wir vor dem offenen Badezimmerfenster. Der Möchtegern-Einbrecher hatte den gekippten Flügel einfach aufgewuchtet. An der gekachelten Wand darunter und in der Badewanne klaffen überall braune Flecken, wahrscheinlich von dreckigen Fingern und Schuhsohlen. Mein Duschgel, mein Conditioner und meine Bade-Essenz ("Glückliche Auszeit") liegen verstreut im Raum.
Mein teures Argan-Öl-Shampoo ist weg. 

Ich will unbedingt grad sofort umziehen! Ich fühle mich in meinen eigenen vier Wänden nicht mehr sicher! Erst klaut man mir meinen Schnauz vor der Tür (Blog Nummer 52), und jetzt reicht einem das offenbar schon nicht mehr und man legt sich uneingeladen nächtens in meine Badewanne, wundert sich dann, dass man dabei gestört wird und verschwindet mit meiner teuren Haarpflege! 
In was für einer Welt leben wir eigentlich??!!
Und überhaupt: was wäre passiert, wenn ich ALLEINE gewesen wäre in dieser Nacht? Nicht auszudenken!! Also, ICH hätte mich dem Eindringling ganz bestimmt nicht so mutig entgegengestellt! Im besten Fall hätte mich sofort ein Herzinfarkt dahingerafft, während ich mich an meinem Bett krampfhaft an die Decke geklammert und mit riesigen Augen in Richtung Türe gestarrt hätte wie so ein überdimensioniertes Maki (aber weit weniger süss)! Oder noch schlimmer: was, wenn ich GAR NICHT zu  Hause gewesen und am Morgen in eine ausgeräumte Wohnung getreten wäre...

Zum Glück hält diese hysterische Phase nur kurz an. Mein Held bugsiert mich tröstend zurück ins warme Bett (und er hätte eigentlich mehr Grund zum Heulen gehabt, schliesslich hätte er beinahe sein Leben für mich gegeben - was mir übrigens ziemlich schmeichelt, muss ich zugeben...),  wir kucken zusammen eine Folge Little Britain auf dem ipad - und schon schlafe ich selig ein.

Am nächsten Morgen geht's mir dann schon wieder gut. Und auch mein Badezimmerfenster ist wohlauf. "Nichts kaputt", versichert mir jedenfalls der Hauswart. Aber putzen könne ich es gefälligst mal. Logo, durch saubere Fenster steigt ja niemand ein. Macht Sinn.  
Aber es kommt noch besser: als ich aus dem Haus gehe, finde ich meine vermisste Flasche Argan-Öl-Shampoo fein säuberlich auf dem Briefkasten drapiert vor.

Meine Welt ist wieder in Ordnung.
Aber gekippte Fenster im Hochparterre kommen darin nicht mehr vor.