Wisst ihr, woran ich merke, dass ich wirklich langsam alt
bin?
Ich meine, ausser, dass ich immer mehr Falten kriege, meine
Toleranz für Idioten immer kleiner wird und ich froh bin, wenn ich früh ins
Bett kann?
Ich habe Freude an Pflanzen.
Ich meine, nicht an Pflanzen, die ich mir für mein Heim
kaufe und in einen Topf stelle. Die mochte ich schon länger. Wenn auch mit
mässigem Erfolg (siehe Post 49). Ich
meine, die Blumen, Sträucher und Bäume, die so draussen rumstehen.
Bei Oma war’s noch
doof
Ich kann also so eine Strasse entlanggehen und tatsächlich
links und rechts kucken und denken: „Woooowww, dieses intensive Pink bei diesen
Blüten, das ist ja wunderschön!“ Oder „Diese saftigen Blätter überall! Mutter
Natur hat das schon voll im Griff!“ Oder: „Keiner giesst diese Sträucher, aber
die sehen immer so supergesund aus, woher kriegen die eigentlich das viele
Wasser, wenn meine Pfefferminze auf dem Balkon bei drei Tropfen zu wenig schon
stirbt?“ Oder: „Bis vor ein paar Wochen war diese Hecke noch komplett kahl –
jetzt ist alles voller Blumen! Wie ist sowas nur möglich? Wie haben die diesen
Schnee überlebt?“
Und dann mache ich dauernd Fotos und poste sie auf meinen
social media, so wie andere ihre Selfies und ihre Regenbogenfahnen.
Das ist wirklich etwas Neues in meinem Leben. Eigentlich
nehme ich das erst dieses Jahr so richtig wahr, dass ich jetzt tatsächlich eine
Art tree hugger geworden bin.
Ich erinnere mich an meine Oma. Wenn sie mit mir als Kind
irgendwo entlangspazierte, machte sich mich dauernd auf irgendwelche schönen
Blumen und Baumkronen aufmerksam, und ich so:
Who. The. Fuck. Cares??? Natur, das ist was für alte Leute,
sollen die mich damit verschonen!
Ich nahm alles Lebende um mich herum gar nicht wahr,
höchstens gleichaltrige Menschen. Und vielleicht Hündchen und Kätzchen.
Mit den Tulpen
stirbt auch der Appetit
Und heute? Bin ich genau so. Neulich hat mich eine ältere
Frau an einer Bushaltestelle auf die blühende Blumenpracht in einem Beet am
Strassenrand aufmerksam gemacht: „Wahnsinnig toll, wie das alles wieder spriesst
nach em Winter, findet Sie nöd?“ Und ja, ich fand es auch, und es war mir
tatsächlich auch aufgefallen.
Das Hauptthema beim Zmorge oder Znacht sind denn auch die
Tulpen vor dem Küchenfenster. Ich habe sie dokumentiert: Kaum waren Schnee und
Eiseskälte weg, schossen sie aus dem Boden. Jeden Tag waren sie ein paar Zentimeter
höher. Dann bekamen sie Blüten, die aufgingen. Wenn das Wetter schlecht war,
liessen sie wortwörtlich die Köpfe hängen. Kaum liess sich die Sonne wieder
blicken, standen auch sie wieder stramm und stolz wie Soldaten.
Und dann, der
Schock: Eines Tages waren die Stile mit den Blüten verschwunden. Der Gärtner
hatte sie wahrscheinlich abgeschnitten. Das Essen schmeckt seither nicht mehr
halb so gut, aber ich habe die grosse Hoffnung, dass der Gärtner ja wohl schon
wusste, was er da tat, und die Tulpen spätestens im nächsten Frühling wieder
spriessen werden.
Dann kann ich auch einfach auf der Terrasse vor der Wohnung
sitzen und auf die Wiese starren. Da gibt es nämlich auch unzählige Blumen.
Geht der Gärtner mit dem Rasenmäher drüber, sind sie nach drei Tagen wieder
nachgewachsen – kein Witz!
Faszinierend.
Und was für Viecher diese Blüten anziehen: Bienen, Hummeln,
Heuschrecken, Schmetterlinge. Ist ja interessanter als Netflix!
Und bald schon ist man/frau mitten im Schwanzvergleich,
denn die Nachbarin hat gewaltige Rosenbüsche auf dem Sitzplatz, wir aber gar
nichts so.
„Wie hät die das gschafft? Sölled mer da au eifach öppis setze?
Dörf mer das überhaupt? Weiss das dä Huusabwart??“
„Rhodo – was?“
Allerdings hat mir mein neuer Fetisch nicht nur neue Freude
ins Leben gebracht, sondern mir auch ein weiteres Defizit vor Augen gehalten:
Ich hätte im Biologieunterricht in der Schule lieber mal besser aufpassen
sollen. Also, Rosen, Tulpen und Pfefferminze geht grad noch, die kenn ich. Aber
ansonsten sind für mich Blumen einfach weiss, blau und rosa, klein und gross.
Die Bäume haben längliche oder herzförmige Blätter. Und allgemein riechen
Pflanzen oder eben nicht. Sie sind essbar oder eben nicht. Mehr Ahnig vo dä
Botanik hab ich nicht.
Die violetten Dinger dort neben der Mauer, ist das jetzt
Lavendel? Hmm, riecht irgendwie nach nichts, kann nicht sein, oder?
Wollen wir Dings pflanzen, also, diese Dings da, die man
auch zum Kochen verwenden kann. Thymian, glaub’s. Oder ist das jetzt Oregano? Hmm,
kommt das überhaupt drauf an? Kochen kann ich ja sowieso nicht.
Der Baum da hat immer so schön rote Blätter. Das ist ein
Ahorn, denke ich. Weil Ahorn der einzige Baum ist, den ich kenne. Jedenfalls
vom Namen her. Birke kann nicht sein, die hat doch so eine schwarzweisse Rinde,
nicht?
Rhododendron? Rho-dodendron? Rhododen-dron? Ist das ein
Baum oder eine Blume? Klingt mega fancy!
Ah, schau, da liegen wieder viele Kastanien am Boden. Das
sind aber Rosskastanien, die können wir nicht essen. Wieso, weiss ich auch nicht. Wie
sehen denn die Maronibäume eigentlich aus? Und wo wachsen die überhaupt?
Huflattich. Kubaspinat. Purpur-Storchschnabel. Spitz-Ahorn.
Veronica filiformis. Götterbaum. Liebesgras.
Yep, alles Pflanzen, die offenbar in Städten wachsen. Hab
ich gegooglet. Botanik ist gar nicht mal so Oma-Zeugs, sondern echt noch cool.
Hätte ich mich doch schon früher dafür interessiert!
Jedenfalls freu ich mich schon wieder auf den nächsten
Frühling und die Tulpen vor dem Küchenfenster.
Wenn’s denn auch wirklich Tulpen sind…?
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