Mittwoch, 30. Juni 2021

140 Ahnig vo dä Botanik

Wisst ihr, woran ich merke, dass ich wirklich langsam alt bin?

Ich meine, ausser, dass ich immer mehr Falten kriege, meine Toleranz für Idioten immer kleiner wird und ich froh bin, wenn ich früh ins Bett kann?

Ich habe Freude an Pflanzen.

Ich meine, nicht an Pflanzen, die ich mir für mein Heim kaufe und in einen Topf stelle. Die mochte ich schon länger. Wenn auch mit mässigem Erfolg (siehe Post 49).  Ich meine, die Blumen, Sträucher und Bäume, die so draussen rumstehen.

Bei Oma war’s noch doof
Ich kann also so eine Strasse entlanggehen und tatsächlich links und rechts kucken und denken: „Woooowww, dieses intensive Pink bei diesen Blüten, das ist ja wunderschön!“ Oder „Diese saftigen Blätter überall! Mutter Natur hat das schon voll im Griff!“ Oder: „Keiner giesst diese Sträucher, aber die sehen immer so supergesund aus, woher kriegen die eigentlich das viele Wasser, wenn meine Pfefferminze auf dem Balkon bei drei Tropfen zu wenig schon stirbt?“ Oder: „Bis vor ein paar Wochen war diese Hecke noch komplett kahl – jetzt ist alles voller Blumen! Wie ist sowas nur möglich? Wie haben die diesen Schnee überlebt?“
Und dann mache ich dauernd Fotos und poste sie auf meinen social media, so wie andere ihre Selfies und ihre Regenbogenfahnen.

Das ist wirklich etwas Neues in meinem Leben. Eigentlich nehme ich das erst dieses Jahr so richtig wahr, dass ich jetzt tatsächlich eine Art tree hugger geworden bin. 

Ich erinnere mich an meine Oma. Wenn sie mit mir als Kind irgendwo entlangspazierte, machte sich mich dauernd auf irgendwelche schönen Blumen und Baumkronen aufmerksam, und ich so:
Who. The. Fuck. Cares??? Natur, das ist was für alte Leute, sollen die mich damit verschonen!
Ich nahm alles Lebende um mich herum gar nicht wahr, höchstens gleichaltrige Menschen. Und vielleicht Hündchen und Kätzchen.

Mit den Tulpen stirbt auch der Appetit
Und heute? Bin ich genau so. Neulich hat mich eine ältere Frau an einer Bushaltestelle auf die blühende Blumenpracht in einem Beet am Strassenrand aufmerksam gemacht: „Wahnsinnig toll, wie das alles wieder spriesst nach em Winter, findet Sie nöd?“ Und ja, ich fand es auch, und es war mir tatsächlich auch aufgefallen.

Das Hauptthema beim Zmorge oder Znacht sind denn auch die Tulpen vor dem Küchenfenster. Ich habe sie dokumentiert: Kaum waren Schnee und Eiseskälte weg, schossen sie aus dem Boden. Jeden Tag waren sie ein paar Zentimeter höher. Dann bekamen sie Blüten, die aufgingen. Wenn das Wetter schlecht war, liessen sie wortwörtlich die Köpfe hängen. Kaum liess sich die Sonne wieder blicken, standen auch sie wieder stramm und stolz wie Soldaten. 
Und dann, der Schock: Eines Tages waren die Stile mit den Blüten verschwunden. Der Gärtner hatte sie wahrscheinlich abgeschnitten. Das Essen schmeckt seither nicht mehr halb so gut, aber ich habe die grosse Hoffnung, dass der Gärtner ja wohl schon wusste, was er da tat, und die Tulpen spätestens im nächsten Frühling wieder spriessen werden.

Dann kann ich auch einfach auf der Terrasse vor der Wohnung sitzen und auf die Wiese starren. Da gibt es nämlich auch unzählige Blumen. Geht der Gärtner mit dem Rasenmäher drüber, sind sie nach drei Tagen wieder nachgewachsen – kein Witz!

Faszinierend.

Und was für Viecher diese Blüten anziehen: Bienen, Hummeln, Heuschrecken, Schmetterlinge. Ist ja interessanter als Netflix!
Und bald schon ist man/frau mitten im Schwanzvergleich, denn die Nachbarin hat gewaltige Rosenbüsche auf dem Sitzplatz, wir aber gar nichts so.
„Wie hät die das gschafft? Sölled mer da au eifach öppis setze? Dörf mer das überhaupt? Weiss das dä Huusabwart??“

„Rhodo – was?“
Allerdings hat mir mein neuer Fetisch nicht nur neue Freude ins Leben gebracht, sondern mir auch ein weiteres Defizit vor Augen gehalten: Ich hätte im Biologieunterricht in der Schule lieber mal besser aufpassen sollen. Also, Rosen, Tulpen und Pfefferminze geht grad noch, die kenn ich. Aber ansonsten sind für mich Blumen einfach weiss, blau und rosa, klein und gross. Die Bäume haben längliche oder herzförmige Blätter. Und allgemein riechen Pflanzen oder eben nicht. Sie sind essbar oder eben nicht. Mehr Ahnig vo dä Botanik hab ich nicht.

Die violetten Dinger dort neben der Mauer, ist das jetzt Lavendel? Hmm, riecht irgendwie nach nichts, kann nicht sein, oder?

Wollen wir Dings pflanzen, also, diese Dings da, die man auch zum Kochen verwenden kann. Thymian, glaub’s. Oder ist das jetzt Oregano? Hmm, kommt das überhaupt drauf an? Kochen kann ich ja sowieso nicht. 

Der Baum da hat immer so schön rote Blätter. Das ist ein Ahorn, denke ich. Weil Ahorn der einzige Baum ist, den ich kenne. Jedenfalls vom Namen her. Birke kann nicht sein, die hat doch so eine schwarzweisse Rinde, nicht? 

Rhododendron? Rho-dodendron? Rhododen-dron? Ist das ein Baum oder eine Blume? Klingt mega fancy!

Ah, schau, da liegen wieder viele Kastanien am Boden. Das sind aber Rosskastanien, die können wir  nicht essen. Wieso, weiss ich auch nicht. Wie sehen denn die Maronibäume eigentlich aus? Und wo wachsen die überhaupt? 


Huflattich. Kubaspinat. Purpur-Storchschnabel. Spitz-Ahorn. Veronica filiformis. Götterbaum. Liebesgras.
Yep, alles Pflanzen, die offenbar in Städten wachsen. Hab ich gegooglet. Botanik ist gar nicht mal so Oma-Zeugs, sondern echt noch cool. Hätte ich mich doch schon früher dafür interessiert!
Jedenfalls freu ich mich schon wieder auf den nächsten Frühling und die Tulpen vor dem Küchenfenster.

Wenn’s denn auch wirklich Tulpen sind…?

Mittwoch, 9. Juni 2021

139 Rock 'n' Roll - oder eben nicht

Notiz an mich selber: Nicht mit langem Rock Velo fahren!!
Wobei: Kann ich ja auch gar nicht mehr. Hab ja jetzt keinen langen Rock mehr. Weil, genau das hab ich mit ihm gemacht letztens: Velo fahren. Und es hat zu einem typisch bitterbösschen Zwischenfall geführt – halb tragisch, halb saukomisch. 
 
Aber von Anfang an.
 
Ich habe nur zwei lange Röcke in meinem Kleiderschrank. Lange Kleider habe ich noch etwas mehr, aber lange Röcke, nein. Mag ich eigentlich gar nicht so. Ich bin mehr so der Kleidertyp. Röcke – soso-lala. Lange Röcke – noch mehr soso-lala. Offensichtlich fördere ich aber die Diversität in meinem Kleiderschrank, denn sie hängen da trotzdem an der Stange. Und werden nie getragen.
 
Ich übersehe sie regelmässig, wenn ich was zum Anziehen suche (und natürlich jedes Mal überzeugt bin, dass ich üüüüüüberhaupt keine Kleider habe). Aber letzthin sind mir meine beiden langen Röcke plötzlich ins Auge gestochen. Wahrscheinlich, weil sie so verstaubt waren, mein Kleiderschrank hat nämlich keine Türen. 
 
Dank Rock halbnackt im Morgenverkehr
Den einen finde ich eigentlich doch noch ganz schön. So lachsfarben und leicht glänzend. Ich erinnere mich, dass ich ihn das letzte Mal zu einer Sommerhochzeit trug – vor 5 Jahren. Und seither nie mehr. Vorher eigentlich auch nicht. Es wurde also Zeit!
 
Ich habe schon so eine Vorahnung, als ich dann in meinem neuen alten Outfit am Morgen vor meinem E-Bike stehe. So langer Stoff und drehende Räder, das ist eigentlich nicht so SUVA-konform, oder? Egal, der rutscht dann schon hoch, wenn ich am Pedalen bin!
Ist das jetzt eigentlich Rock ‚n‘ Roll, wenn man/frau mit Rock Velo fährt? Haha! :-)
 
Auf dem Sattel und in voller Fahrt merke ich dann, dass ich noch ganz andere Probleme habe: Weil der Rock auf den Seiten Schlitze hat, sieht es zeitweise so aus, als wäre ich unten ohne unterwegs, weil meine nackten (und sehr weissen) Beine ständig entblösst werden. Könnte im dichten Morgenverkehr für Aufsehen sorgen. Also muss ich das unpraktische Ding mit einer Hand über meinen Knien festhalten und mit der anderen Hand das Velo manövrieren. 
Das nervt mich schon mal ziemlich. Aber es geht noch weiter:
Auf der Arbeit angekommen, merke ich, dass lange Röcke auch auf Treppen nicht so das ideale Beinkleid sind – und mein Büro ist im 4. Stock. Es gibt einen Lift, aber der funktioniert 6 Monate im Jahr nicht. Und ausserdem gehört Treppenlaufen zu meinem Sportprogramm. 
Ich muss den Stoff also wieder so zusammenzwirbeln und hochhalten. Das sieht schon mal ziemlich bescheuert aus. Und es geht nicht, wenn man noch was in den Händen hält, zum Beispiel Laptop und Kaffeetasse gleichzeitig. Da bleibt keine Hand mehr für den Rock übrig – und schwupps! tritt man/frau auf den Saum und fällt vornüber. Oder, um es anders auszudrücken: Man/frau fliegt auf die Fresse! Sagen wir es doch so, wie es ist!
Spätestens jetzt, als ich so unfreiwillig auf den Stufen liege, Kaffee und Laptop weit von mir gestreckt, um sie zu schützen, wie so ein verbogener Seestern, wird mir klar: Lange Röcke sind lebensgefährlich! Das gebe ich wieder auf! Nur noch nach Feierabend schnell nach Hause fahren, ausziehen und dann weg damit!


 

Übermut kommt vor dem Fall
Gesagt, getan. Des Abends wieder auf dem Velo bin ich erstaunt, wie leicht es diesmal geht. Hab wahrscheinlich schon Übung jetzt mit dem Rock Halten. Geht bestimmt auch ohne! Ist ja auch bequemer, so beide Hände am Lenker. Ich werde übermütig. Rock ‚n‘ Roll halt! Und tatsächlich, es geht gut – so fünf Minuten. Dann gibt es plötzlich einen Ruck. Die Räder blockieren, ich drücke reflexartig beide Bremsen und halte an. Mein E-Bike lässt sich nicht mehr bewegen, das Hinterrad ist wie festgezurrt. 
Ich drehe mich um schaue runter. 
Und da sehe ich die Misere: Mein Rock hat sich im Hinterrad verheddert, irgendwo zwischen Motor, Bremse, Kette und Kettenblatt (und ja, ich musste diese Teile googlen, ich kenne mich wirklich null aus mit der Anatomie von E-Bikes) – jedenfalls genau in der Mitte des Rads. Und der Rock hat es auch noch geschafft, sich dabei zweimal um diese Stange da zu wickeln, die Velo und Rad verbindet, fragt mich nicht! Ah, Sitzstrebe, sagt Google. 
 
Ich zerre und klaube und reisse, aber nichts geht. Der Rock sitzt fest, und ist untenrum eigentlich komplett kaputt. Aber ich komme nicht raus aus dieser misslichen Lage. Das Rad sitzt fest, das Velo lässt sich nicht mehr fahren und schieben auch nicht. 
Und das auf einer wirklich gut befahrenen Hauptstrasse in Zürich am Feierabend. Sprich: Ich biete hier unzähligen Autofahrenden gerade ein gratis Schauspiel. Eine Tragikomödie, wenn wir so wollen. Sieht wahrscheinlich total lustig aus, wie ich da so gebückt am Strassenrand an meinem Rock rumzerre. Aber mir ist gar nicht zum Lachen zu Mute: Ich will hier raus!!
 
Bleibt nur eine Möglichkeit: Ich muss das Velo tragen, und dabei aufpassen, dass ich mir nicht noch unabsichtlich den Rock vom Körper ziehe.
 
Wisst ihr, wie verdammt schwer so ein verficktes E-Bike ist??
 
Rettung per Telefon
Jetzt sind wir wirklich komplett in der Komödie angekommen, eigentlich hätte ich mich gerne selber gefilmt. Die lachsfarbene Bitterbös mit dem Velohelm auf dem Kopf schleppt ein E-Bike die Strasse entlang und versucht dabei so auszusehen, als wäre das die normalste Sache der Welt!
 
Zum Glück habe ich es nicht mehr so weit nach Hause. Aber leider muss ich das Velo am Schluss immer noch eine steile Treppe hinaufhieven zum Veloständer. 
Sie haben Veloständer gebaut in diesem Quartier, aber keine Zufahrten. Auch sehr geil. Nervt mich jeden Tag. 
Aber ein E-Bike die Treppe raufkriegen mit einem eingeklemmten Rock ist noch ein kleines bisschen beschissener als sonst schon, das könnt ihr mir glauben.
 
Schweissüberströmt beim Ständer angekommen stellt sich mir nun die Frage: Und wie komme ich nun in die Wohnung rein? Ja wohl kaum mit einem Velo am Rockzipfel! Ist aber auch wirklich verdammt anhänglich, mein Cilo! Den Rock husch ausziehen und unbemerkt in Unterhosen reinhuschen ist in diesem Fall auch keine Option: Ich bin umzingelt von Balkonen, if you know what I mean. 
 
Das Alleinsein hat ja Vor- und Nachteile. In dieser Situation bin ich nun aber mal so richtig froh, bin ich zur Zeit gerade liiert. Denn so kann ich den Mann telefonisch bitten, zum Veloständer zu kommen – und eine Schere mitzubringen. 
Sein Blick übrigens: Priceless!
 
Und so bin ich nun um eine Erfahrung reicher und um ein Kleidungsstück ärmer. 
 
Aber lange Röcke stehen mir eh nicht so.