Donnerstag, 22. Januar 2015

19 Du bist, was du isst

Lebensmittel shoppen in Zürich.
Es ist immer dasselbe Bild.

SIE stehen verdächtig lange vor der Auslage mit dem Frischgemüse. Mit den saisonalen Früchten. SIE, Frauen und Männer in dem Altersrange, indem man sich noch gehörig Mühe gibt, um äusserlich was herzumachen. SIE in skinny Jeans und gertenschlank. ER mit Hipsterbart und Nerd-Brille. Aufmerksam begutachten sie den Bio-Stangensellerie von allen Seiten, der schönste wandert ins Körbli, neben die Granny Smith und den Bund Basilikum. Dazu noch ein paar frische Bio-Tomaten, die passen so gut zum exquisiten italienischen Büffelmozzarella und dem sauteuren Bio-Olivenöl aus der Feinkostabteilung. Weiter zum Kühlregal und dort gezielt nach dem Bio-Nature-Joghurt (der grosse Becher), der Bio-Vollmilch und dem MSC-Seelachsfilet gegriffen. Auch ein Würfel Seidentofu muss mit. Und als Belohnung dann noch die Schoggiguetzli mit der Knospe drauf, aber nur EIN Päckli. 

Zürcherinnen und Zürcher ernähren sich offensichtlich gerne gesund, exquisit und nachhaltig. Das sieht man ihnen auch an. Ein Freund von mir hat mal gesagt, es gäbe nirgends so viele (zu) schlanke Frauen wie in Zürich. Er steht auf molligere, er musste deshalb eine Auswärtige heiraten.

Gesundes, frisches, qualitativ hochwertiges Essen ist hip - klar, warum auch nicht? Wir können es uns hier schliesslich auch leisten und die Auswahl ist riesig. 

Ja, das ist toll. 
Denn SIE kochen offenbar auch gerne. Lieben es, stundenlang Gemüse zu schnippeln. Seidentofu in selbst gemachter Marinade einzulegen. Einen Apfel statt zwei Tafeln Schokolade als Dessert zu nehmen. SIE rühren die Salatsauce immer selber an, mit Bio-Mayo und Bio-Senf. 

Ich nicht. 

Ich kann nicht kochen und habe keine Geduld. Ich bin kein Feinschmecker, meine Geschmacksknospen spüren leider keinen Unterschied zwischen Bio und Gift. Ich liebe alles, was aus Dosen kommt. Was kein Verfallsdatum hat. Was sich easy mit Wasser in eine geniessbare Mahlzeit verwandelt. Und alles mit ganz viel Zucker und E-Nummern. 
Früchte? Wääähh!! Die verfaulen bei mir regelmässig auf dem Küchentisch. Und sie liegen auch nur da, weil mich beim Einkaufen wieder mal kurz das schlechte Gewissen packte.

Du bist, was du isst. 

Also, eigentlich bin ich tot. 
Ok, nicht ganz, aber sicher ein Alien. Vom Planeten Knorr.
Denn so fühl ich mich im Coop jeweils zwischen IHNEN, diesen gesundheitsbewussten, schönen, hippen Zürcher Superköchen - ich, mit meinem Körbli voll Tiefkühllasagne, Instant-Nudelsuppe, Stocki und vier Tafeln Schokolade (sorry, die mit Marzipan gibt's nicht in Bio). 



Dienstag, 13. Januar 2015

18 #jenesuispascharlie

Ich stelle mir das ja in etwa so vor: die islamistischen Arschloch-Terroristen an ihrer allwöchentlichen Sitzung. Der Fernseher läuft und zeigt, wie die Stars mit "Je suis Charlie"-Schildern über den roten Teppich stolzieren. Auf dem Tisch steht ein Laptop und dort flimmern die Twittermeldungen mit allen Solidaritätskundgebungen für die Opfer von Paris über den Bildschirm, Hashtag Je suis Charlie. Und rundherum verteilt liegen aufgeschlagene Zeitungen, die Bilder zeigen vom grossen Schweigemarsch in der französischen Hauptstadt, mit all den betroffen dreinblickenden Staatsoberhäuptern in der ersten  Reihe. Und dann die Terroristen so: "Ui nein, die halten jetzt alle  voll zusammen, kuck, die haben alle "Je suis Charlie" angeschrieben - jetzt sind wir am Arsch! Hören wir lieber auf!!"

I don't think so.

Nun, natürlich bin auch ich auf der Seite der Opfer von Charlie Hebdo und den anderen Attentaten in Paris. Und ja, auch ich bin der Meinung, Satire darf alles, ja, MUSS sogar bissig und fies sein. Nein, ich lasse mir den Mund auch nicht verbieten. Und Terror ist wohl die feigste und dümmste Art, seinem Unmut Luft zu machen.
Trotzdem beschleicht mich das untrügbare Gefühl, die Terroristen haben doch nur darauf gewartet, dass wir mit "Je suis Charlie"-Schildern durch die Strassen ziehen und den Schriftzug in unser Facebook-Profil setzen. So sind sie mit ihren Taten auf der ganzen Welt präsent und freuen sich wahrscheinlich auch noch darüber, wie wir ihre Opfer beweinen. Und darüber, wie scheinheilig wir  doch sind. Ich meine, ich finde es ja schon erstaunlich, wer alles plötzlich "Je suis Charlie" in seinen Online-Profilen stehen hat. Leute, die weder mit Satire, Medien noch Politik irgendetwas am Hut hatten zuvor, und die es einfach supercool finden, auf diesen Charlie-Zug aufzuspringen - genauso cool, wie die Ice Bucket Challenge damals oder Foodporn. Es ist immer das selbe: man macht es einfach, weil es alle machen. Die eigentliche Bedeutung der Sache geht dabei total unter.
Oder man macht es, weil man seinen Ruf aufpolieren und sich Aufmerksamkeit verschaffen will. Oder glaubt ihr tatsächlich, Netanjahu und Erdogan seien in Paris an vorderster Front mitmarschiert, weil ihnen die Karikaturisten so leid tun? In ihren Ländern wären solche Menschen schon längst im Kerker und ihre Zeitungen verboten.

Ja, DAS nenn ich Satire! REAL-Satire!
Wer auf "Je suis Charlie" verzichtet, muss sich aber schon fast rechtfertigen. "Ui, häsch du öppe kei Ahnig vo Meinigsfreiheit und so? Findsch du die Islamischte am End no guet??" - ja, logo. Weil ich nicht teilnehme an den Solidaritätskundgebungen oute ich mich grad selber als Terroristin. Sorry, dann distanziere ich mich aber lieber gleich mal hochoffiziell von diesen Arschloch-Terroristen, damit es auch ja kein Missverständnis gibt! Ich distanziere mich zusammen mit der gesamten arabischen Welt. Schliesslich muss die jetzt gefälligst beweisen, dass es in ihr nicht nur fanatische Islamisten gibt, sondern auch noch so ein paar ganz wenige anständige, moderate Muslime mit Hirn und Humor. 
Mussten wir uns in der westlichen Welt eigentlich auch kollektiv entschuldigen, als Islamhasser Breivik in Norwegen mal eben so 70 Jugendliche erschoss?

Die Attentate in Paris haben mich schockiert. Und mir Angst gemacht. Auf was müssen wir uns in Zukunft noch alles gefasst machen? Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen, auch ganz ohne "Je suis Charlie"-Schriftzug. 
Aber ich weiss nicht, über was ich mehr weinen soll: über die Toten? Die Unverfrorenheit der Täter? Das heuchlerische Getue der Politiker? Oder die Facebook- und Twitterprofile meiner Friends und Followers?

Ich habe kein Patentrezept gegen Extremismus und Terror. Aber manchmal denke ich, es ist besser, einfach mal die Klappe zu halten, wenn irgendwo Bomben hochgehen. Ansonsten gibt man den Tätern nur noch mehr Futter, und allen anderen mit Profilierungsneurosen grad auch. 
Die Toten beerdigen, die Täter bestrafen (falls noch möglich) - und dann einfach weiterfahren, wie bisher: Karikaturen zeichnen, Satire schaffen, sich lustig machen über Muslime, Christen, Juden, Buddhisten. Und ohne das vorher gross an die Glocke zu hängen, damit auch ja jeder sieht, was für ein vermeintlich toller, mutiger Typ man doch ist. 






Mittwoch, 31. Dezember 2014

17 Reclaim your brains!

"Liebe" Initianten der Krawalle vom 12. Dezember im Langstrassenquartier und in der Europaallee.


Ich gehöre zu den "Auserwählten", die kurz vor dem Jahresende noch euer anonymes Pamphlet im Briefkasten vorgefunden haben. Ein Schreiben, mit welchem ihr eure jüngste Aktion von "Reclaim the Streets" rechtfertigt.


Ich lese also: "Gegen die Stadt der Reichen", so der Titel, ein "Vorschlag für einen Kampf gegen die städtischen Umstrukturierungsprozesse in Zürich". Es folgt die ausführliche Erklärung: all die Luxuswohnungen und Schickimicki-Geschäfte in Zürich würden die ärmere Bevölkerung zunehmend in "die für sie zugerichteten Schlafghettos am Rande der Stadt" verdrängen.  So werde ein sozialer Konflikt angeheizt, eine Trennung in Besitzende und Ausgebeutete, Privilegierte und Ausgeschlossene. Die Politik und die Reichen wollten den sozialen Raum verwalten, um zu vermeiden, dass die einen zurückholten, was ihnen entrissen oder vorenthalten würde. Dagegen müsse man sich wehren, und zwar jeder so, wie er es am besten könne, denn "die physische Dimension von solchen selbstverwalteten Kampfstrukturen ist verschieden denkbar". 
Daneben folgt eine detaillierte Beschreibung der Krawalle vom 12. Dezember: nein nein, man habe nicht "ziel- und wahllos" Scheiben eingeschlagen und Fassaden zerstört, wie immer von den Medien vorgeworfen. Man habe sich GEZIELT auf die Europaallee konzentriert, mit ihren edlen Restaurants und Läden. So nebenbei seien dann noch zwei Weihnachtsbäume verbrannt worden, "ein Fest, das die zerstörerische Kreativität von so einigen inspirierte und das hundertmal mehr Lebendigkeit und Schönheit ausstrahlt als das geschmacklose 'Fest der Liebe'". Die Krawalle seien nur ein "Beispiel davon, was möglich ist - und noch wäre!" Und natürlich "nimmt man damit bewusst Körperverletzungen in Kauf", die Polizei mache das mit ihrem Tränengas und Gummischrot ja genauso. 
Dazu gibt es ein paar Fotos aus jener Nacht, von zerstörten Schaufenstern, versprayten Wänden und herausgerissenen Stromkästen.

Aha. 

Also, ich lerne aus euren acht Seiten: in der Stadt Zürich ist Krieg. Und Gewalt ist ok.

Ich habe noch selten so einen Schrott gelesen!

Erstmals möchte ich festhalten: ja, auch mir macht die Stadtentwicklung Sorge. In Zürich kann man den Mietpreisen beim Steigen zuschauen. Die Suche nach einer bezahlbaren Wohnung dauert hier oft Monate, unzählige Male darf man sich bei der Besichtigung mit 100 anderen in die Schlange vor dem Haus einreihen und geht dann ja doch leer aus. 
Als Familie in der Stadt Zürich wohnen? Wohl kaum. Sind Kinder unterwegs, müssen viele in die Agglo ausweichen. 
Ja, das ist ein Fakt und es ist nicht lustig und schon gar nicht Ordnung. Da muss etwas geschehen, zweifellos. Und das erfordert Engagement.
Aber Gewalt? I doubt it!!

Es geht hier doch nicht darum, einen Despoten zu stürzen oder Geiseln zu befreien! Ihr wollt Krieg spielen? Geht nach Syrien, dort haben die Leute aber auch wirklich allen Grund, sich mit Gewalt zu wehren!!
Herrgott, macht doch mal die Augen auf, zieht euch eure scheiss Masken vom Gesicht! Wir sind verdammt verwöhnt hier und können uns auch anders wehren! Aber das erfordert halt ein bisschen Hirn und Ausdauer und Strategie, etwas, worüber ihr Idioten (ja, das seid ihr, auch wenn ihr es nicht gerne hört, aber wie wollt ihr denn lieber genannt werden? "Helden"? "Lebensretter"?? Nicht im Ernst, oder??) offensichtlich nicht verfügen.

Was genau hat die Gewalt vom 12. Dezember gebracht? Ausser, dass der Kreis 4, in dem ich zufälligerweise wohne, jetzt zum Kotzen aussieht? Auf Schritt und Tritt verkritzelte Fassaden, mit so total geistreichen Sprüchen wie "Sommaruga? Knieschuss!", "Fuck Cops!" und "FCZ" (ich habe nicht genau verstanden, wie ein Fussballclub uns "Raum und Zeit, die uns entrissen wurden, zurückerobern" sollen, erklärt mir das doch bitte mal). Danke auch für das, es ist immer uuh schön, nach Hause zu kommen. Ich schwanke bei diesem Anblick stets zwischen dem Drang, den Putzlappen hervorzuholen oder bei euch als Rechtschreibe-Lehrerin anzuheuern.
Was glaubt ihr denn? Dass sich eure verhassten Banken, Politiker und Reichen nun sagen: "Ooooohhh, die haben alles kaputt gemacht! Ja, gut, easy, dann richten wir jetzt halt ganz viele billige Wohnungen ein und schaffen das kommerzielle Weihnachtsgeschäft ab, no problem"?
Und wieso motzt ihr über all die Luxuswaren in den Schaufenstern, wenn ihr dann die Scheiben einschlagt und selber "die Hände nach dem, was dahinter ist, ausstreckt"? Echt, Perlenketten gehören also zu den Dingen, die euch "entrissen und vorenthalten" werden? Euch geht es aber gut!
Ausserdem: euch ist schon klar, wer den Schaden, die ihr in jener Nacht angerichtet habt, bezahlen wird, oder? Ja, wir alle nämlich. Obwohl ich bei euch bezweifle, dass ihr arbeitet und Steuern bezahlt, weil ihr wohl glaubt, die Stadt muss euch einfach ALLES gratis geben. Aber so einfach funktioniert das Leben halt leider auch nicht, es ist ein Geben und Nehmen. 
Das mag vielleicht nicht immer ganz gerecht und ausgewogen sein in dieser Stadt und wohl überall auf der Welt, da geb ich euch Recht. Aber vermummt, brandschatzend und Steine werfend durch die Stadt zu ziehen ("keine Forderung ist sichtbar" und "keine Täter identifizierbar"), ist es ganz bestimmt auch nicht. Es ist feig und sinnlos. 
Und ehrlich gesagt, macht es mich auch verdammt traurig. Ich liebe Zürich trotz allem, ich denke, diese Stadt bietet unheimlich viele Möglichkeiten - und ihr tretet das mit Füssen! Wir sind hier nicht im Krieg - aber ihr zettelt gerade einen an! Ihr seid einfach zu faul, euch anzustrengen und den demokratischen Weg zu wählen (in wie vielen Städten und Ländern sonst steht euch diese Möglichkeit zur Verfügung, schon mal darüber nachgedacht??) Euch ist doch einfach nur langweilig und ihr lasst euren Frust raus, wie verzogene Kinder im Sandkasten: Einfach mal schnell alles das kaputt machen, was man selber gern hätte, die Sandburg des anderen zertreten und sein Dreirad demolieren. Sehr reif, wirklich! Und ihr wollt in dieser Stadt das Zepter übernehmen und "unsere Interessen repräsentieren"? Nee, du, da sind mir die Banken und Parteien aber lieber!



Also, bitte: Reclaim you BRAINS!! Und verschont mich das nächste Mal bitte mit so dämlicher Post, ja?


Danke und guets Neus!