Mittwoch, 5. Oktober 2022

151 No hay nada, pero hay todo

Kuba.

Ich hätte ja nicht gedacht, dass mich ein Land mal noch so an meine Grenzen bringen würde. Immerhin habe ich jetzt doch auch schon mehr als 50 gesehen. Aber nach drei Wochen auf dieser Insel bin ich irgendwie immer noch völlig ausser Atem - dabei bin ich ja schon längst in Panamá!

Von Anfang an.

Natürlich wusste ich, dass Kuba jetzt nicht so die easypeasy-Backpacker-Feriendestination sein würde. Das politische System dort ist - sagen wir es mal so - anders. Mir war klar, dass ich als alte Kapitalistin nicht einfach in einen Supermarkt würde gehen können. Und dass es kaum Wifi geben würde, davor wurde ich auch gewarnt. Ist übrigens auch der Grund, warum ich erst jetzt zum Schreiben komme.
Kuba hat aber vor allem seit der Pandemie und der sehr fragwürdigen Währungsrefom im letzten Jahr zur Zeit noch ganz andere Probleme: Eine heftige Wirtschaftskrise mit zünftigen Versorgungsproblemen plus regelmässigen Stromausfällen.

Und das hatte ich wohl etwas unterschätzt.


Euro, Pesos, Dollar - was denn jetzt??
Als ich in Havanna ankam, wollte ich eigentlich sofort wieder kehrt machen. Zum einen hatte ich mir die Stadt nicht ganz so heruntergekommen vorgestellt, und ich wohnte tatsächlich inmitten von Ruinen. Zum anderen war es über 30 Grad heiss, aber niemand konnte mir sagen, wo ich eine Flasche Wasser herbekommen würde. Eben, Supermärkte in dem Sinn gibt’s ja nicht. Ok, in einem Restaurant könnte man/frau Wasser kaufen, aber dort ist es sauteuer - und ich rede hier von Preisen, die sogar Tsüri-Tuss*innen aus der Fassung bringen. Ich bin sicher so eine Stunde durch die Strassen geirrt, bis ich völlig entnervt einfach einen Einheimischen fragte, der mich dann zu so einem kleinen Stand irgendwo hinter Mauern versteckt lotste, an welchem tatsächlich Getränke verkauft wurden - auch zu eher Schweizer Preisen, aber das sollte die Normalität bleiben, wie ich bald merkte. Einfach so zum Vergleich: Ein Kubaner, eine Kubanerin verdienen im Schnitt so 30 bis 40 Euro pro Monat, und zwar auch als Ingeneurinnen und Anwälte. Das hat zur Folge, dass sie trotz Universitätsabschluss zum Beispiel Taxi fahren müssen. Die Fahrt in einem Sammeltaxi von Havanna nach Trinidad kostet schon so 35 Euro pro Person. Aber eben, bei den Preisen im Land reicht das dann trotzdem nirgends hin. 

Der totale Braindrain: Kuba bildet die Elite des Landes aus, die kann ihre Diplome aber gar nie anwenden, weil sie sonst verhungert.

Und übrigens: Ja, tatsächlich, auf Kuba kann oder muss sogar fast alles mit Euro bezahlt werden, so seltsam dass auch klingen mag, europäisches Geld in der Karibik. Aber das ist die begehrteste Währung der Kubanerinnen und Kubaner. Den kubanischen Peso braucht es auch noch, allerdings ist dieser ausserhalb des Landes wertlos und kann auch nicht umgetauscht werden. Reisende müssen also immer zwei Währungen mit sich tragen, manchmal sind zudem plötzlich auch noch US-Dollar begehrt. Zum Beispiel sind in den staatlichen Supermärkten (ja, die gibt’s, wenn man sucht, da dürfen auch Ausländerinnen rein und können mit Karte bezahlen, aber eigentlich gibt es dort nicht viel Interessantes für uns und wir haben auch nicht so grosse Geduld, ewig lange Schlange zu stehen) die Preise sämtlicher Artikel (und das sind leider nicht grad viele) in US-Dollar angegeben. Und was noch viel mehr irritiert: Die Produkte sind um einiges teurer als in Zürich! 20 Dollar für eine grosse Büchse Bohnen, are you serious?? Die Einheimischen bezahlen in den Supermärkten allerdings auch nicht direkt mit Dollar, sondern mittels ihrer virtuellen Währung, die der Staat im letzten Jahr einführte.

Für die OP selber das Skalpell mitbringen
Ja, ich weiss, es wird immer verwirrender, aber hasta la vicoria siempre. Die Kubaner haben mir gegenüber selber geseufzt und gemeint, ich dürfe keine Logik erwarten.

Bei einer Kubareise also bitte drei verschiedene Währungen im Portemonnaie haben. Und bitte alles Geld bar einführen, aus den Automaten der Insel kommt zur Zeit nichts raus. Ich habe nicht nur EINEN völlig entnervten Reisenden getroffen, der erst vor Ort gemerkt hat, dass seine Kreditkarten auf Kuba gar nichts bringen…


Dazu kommt, dass es im Land eigentlich gar nicht so wahnsinnig viel gibt, für das man/frau sein Geld ausgeben könnte.
Besonders erschreckend fand ich das bei den Apotheken, an denen ich vorbeikam: Die waren so ziemlich leer. Ähnlich muss es in den Spitälern aussehen, was mich am meisten erschreckte (zum Glück musste ich dieses Mal in keins, ich bin ja sonst ziemlich gut darin, im Ausland krank zu werden). Ich habe eine Kubanerin kennengelernt, die zur Zeit gegen Brustkrebs kämpft. Für ihre OP muss sie sämtliche Medikamente, Anästhetika, Handschuhe, Skalpelle etc. selber besorgen, weil das medizinische Personal mit leeren Händen dasteht.

Um Gottes Willen, ich würde mich dort wohl nicht freiwillig unters Messer legen!! Wie krass ist das denn??

Dabei war Kuba einst berühmt für sein einzigartiges Gesundheitssystem. Die Ärztinnen und Ärzte sind ganz sicher immer noch unübertroffen - aber viele schmeissen hin, weil sie ja keine Infrastruktur haben, mit der sie arbeiten können.

Kein Netflix and Chill a lo cubano
Auch wer Essen an jeder Ecke vermutet, hat Pech. Einheimische werden vom Staat noch mit ein paar Lebensmitteln unterstützt (die aber sicher nicht satt machen), für die TouristInnen bleiben eigentlich nur die Restaurants. Diese haben selten eine so grosse Auswahl wie bei uns. Und wenn es ans Bestellen geht, gibt es plötzlich die Hälfte des kleinen Menüs auch schon nicht mehr. Ausserdem waren sie mit Vegetarierinnen wie mir öfters überfordert. Gemüse ist nicht gerade viel vorhanden, oft nur Gurke und Avocado - ich HASSE Gurke! „Ich nehm sonst einfach Bohnen“ - „Die sind uns beim letzten Stromausfall verdorben.“
Mir hat aber eh schon der Fakt den Appetit verdorben, dass die meisten Kubanerinnen und Kubaner selber nicht in Restaurants essen können, weil das viel zu teuer für sie ist. Bei dem Gedanken fühlte ich mich so mies, dass ich öfters lieber hungerte. Frühstück bekam ich immer in den Casas particolares (sehr viele Früchte, Kafi, oft etwas Käse und Brot, wenn welches erhältlich war), aber bei Zmittag und Znacht winkten sie jeweils alle ab: Sie hätten zur Zeit einfach nicht genug, um den Gästen weitere Mahlzeiten zur Verfügung stellen zu können. Ab und zu knurrte mir also der Magen, wenn ich abends zu Bett ging. Und ehrlich gesagt, wollte ich mich manchmal so vor dem Einschlafen gerne noch bei einem Film am iPad mit Schoggi und Chips vollstopfen, aber in Kuba kannst du Netflix and Chill einfach vergessen - es fehlt sowohl an Knabbereien als auch an funktionierendem Internet. Ich hatte ja ganz auf das Wifi an öffentlichen Plätzen und in den Casa particolares gesetzt. Tja, hätte ich nur gewusst, dass diese zwar vorhanden sind, aber oft zeitlich begrenzt und wahnsinnig schlecht funktionierend. Bei Stromausfall dann auch gar nicht, natürlich. 

Und ach ja, glaubt ja nicht, eure Travel Apps funktionieren dort - spätestens bei der Bezahlung hört‘s auf. Da ich aber immer sehr spontan reise und meine Unterkünfte gerne on the go organisiere, war ich somit ein bisschen fucked. Oder auch nicht, denn die eine Casa organisierte mir jeweils die nächste in der nächsten Stadt und so weiter. Sie kennen sich untereinander, ich konnte somit zwar nicht selber aussuchen, wurde aber auch nie enttäuscht.
Win-win.

Beim staatlichen Bus persona non grata
Ach ja: Casas particolares, das sind sozusagen die kubanischen AirBnBs: Kubanische Familien stellen Reisenden Zimmer in ihren Häusern zur Verfügung, mit Erlaubnis der Regierung. Ich fand das eigentlich super, die Häuser sind nämlich oft superschön und mit tollen Dachterrassen - Zeugnisse aus besseren Zeiten. Auch waren die Gastgebenden immer superfreundlich und engagiert.
Hotels hingegen sind staatlich. Ich habe sie gänzlich ausgelassen. Spätestens, nachdem mir der staatliche Bus mal den Zutritt verwehrt hatte. Dreieinhalb Stunden habe ich auf ihn gewartet, um von Santa Clara nach Varadero zu gelangen. Pünktlichkeit geht anders, aber das Busunternehmen Viazul warnt einen wenigstens vor und beordert einen schon 90 Minuten vor geplanter Abfahrt am Terminal ein. Ich hatte brav am Vortag ein Ticket am Schalter gekauft und mich an alle Anweisungen gehalten - nur hatte ich nicht mitgekriegt, dass ich mich gefälligst bei Eintreffen am Terminal im Büro zum Einchecken zu melden hätte. Hat mir niemand so gesagt, aber Viazul findet es gar nicht lustig, wenn man sich nicht ans Protokoll hält. Ich wurde aus dem Terminal gewiesen, und mir wurde auch klar gemacht, dass meine 13 Euro fürs Ticket jetzt leider verloren seien, adiós amiga! 
Da beschloss ich, diesem Staat kein Geld mehr zuzustecken, sondern es lieber bei der Bevölkerung direkt auszugeben - sprich, ein viel zu teures Taxi zu nehmen (Inlandflüge sind zur Zeit übrigens gar nicht mehr erhältlich, die Regierung hat sie seit der Pandemie nicht mehr aufgenommen - zu teuer).


Aber diese Art zu reisen, also in Taxi colectivos („Das ist ein Lada aus dem Jahr 1972, haben uns die Russen überlassen - spürst du, wie es zittert, wenn wir 100 fahren?“) und in Casa particolares, hat wenigstens den grossen Vorteil, Land und Leute besser kennenzulernen. Ich habe nicht nur einmal mit den Einheimischen bei einem Cafecito über ihre schwierigen Verhältnisse lamentiert (dass ich die Sprache kann, sollte mir noch öfters auf meiner Reise zu Gute kommen). Und dabei wird auch gleich klar: Sehr viele sehen als einzige Lösung nur noch, ihr Land zu verlassen. Traurig, aber verständlich.

Auch das ist für Kubanerinnen und Kubaner kein leichtes Unterfangen, da sorgt die Regierung schon dafür. Sie brauchen praktisch überall ein Visum, was nicht leicht zu bekommen ist. Und zusammen mit mit einem Flugticket sehr viel kostet, ZU viel bei diesen niedrigen Löhnen. 

„Ich muss dich heiraten wollen!“
Mierda, jetzt habe ich mich ewig lange über die Schwierigkeiten in Kuba ausgelassen und wahrscheinlich jeder und jedem von euch einen möglichen Besuch des Inselstaates verdorben!

Nein, geht hin!!

Es ist anders und braucht ein bisschen Vorbereitung, aber ich hatte trotz aller „Strapazen“ eine richtig geile Zeit!



In Havanna habe ich mich nach dem ersten Schock so richtig verliebt. Es gibt wirklich sehr viele schöne Ecken, und der Sonnenuntergang am Malecón, der Strandpromenade, ist unübertroffen! Und meine Woche Salsakurs war auch ein super Erlebnis - ich habe zwar noch nie so viel geschwitzt in meinem Leben. Teils, weil der Lehrer aus mir absolutem Greenhorn wohl eine Showtänzerin machen wollte („Tanzen ist Verführung! Du musst mich mit deinem ganzen Körper verführen, bis ich dich heiraten will! Wo schaust du hin, halloooo? Der Blick ist beim Tanzen auch wichtig! Mehr Hüfte! MEHR! MEEEEEHHHRRR!!!“), teils, weil bei den häufigen Stromausfällen auch die Ventilatoren nicht mehr gingen. 
Überhaupt bin ich wahnsinnig neidisch, wie verdammt gut sich die Kubanerinnen und Kubaner bewegen können. Ich bin einmal an eine Party gegangen, und habe mich bei diesem Anblick kaum getraut, überhaupt vom Stuhl aufzustehen. Und während mir zu Hause Salsamusik so richtig auf den Sack geht, beschreibt sie dort das Lebensgefühl der Menschen einfach perfekt. Sie dröhnt deshalb auch aus jeder zweiten Wohnung, und es hat mich jedesmal zum Lächeln gebracht, wenn ich vorbeiging - während ich meine Nachbarn zu Hause bei so einer Dauerbeschallung wohl sofort anzeigen würde. Fröhlichkeit und Zürich passen halt einfach nicht zusammen, haha!

Piña Coladas nach Ches Grab
Ich habe auf Kuba so viele freundliche, lustige und aufgestellte Menschen getroffen, die trotz ihrere teils hoffnungslosen Situation ihren Humor und ihre Hoffnung nicht verlieren! „No hay nada, per hay todo“, hat mir mal jemand gesagt: Auf Kuba hat es nichts, aber alles. Treffender könnte ich es nicht zusammenfassen. Vom kubanischen Mindset könnten wir depressiven und sozial komplett gestörten WestlerInnen noch eine grosse Scheibe abschneiden.
Ok, auch auf Kuba gibt es natürlich Arschlöcher. Ich beziehe mich hier auf die Bossbitch am Busterminal, die mich nämlich ziemlich absichtlich hatte auflaufen lassen. Aber das war eine Ausnahme.

Und auch, wenn die Armut im Land wirklich gross ist - in Kuba konnte ich überall in der tiefschwarzen Nacht mit dem Handy in der Hand und meinem Geld im Rucksack durch die Strassen irren und nach dem Weg fragen, ohne Angst haben zu müssen, überfallen zu werden - ja, ich habe wirklich in jeder Stadt nicht mehr nach Hause gefunden, Strassenlaternen wären auch mal was. Strassenlaternen mit Strom noch viel mehr.

Natürlich habe ich nicht nur nette Einheimische, sondern auch viele nette andere Reisende getroffen - einem möchte ich besonders danken für die Piña Coladas und die Pizzas in Santa Clara, nachdem wir beide nach dem Besuch an Ches Grab das Bedürfnis hatten, unseren Frust über den Kommunismus irgendwie wegzuspülen.


Und dann auch noch Ian…
Und Kuba ist auch einfach eine Schönheit! Die karibischen Strände mit ihrem weissen Sand und dem kristallblauen (ist Kristall überhaupt blau?) Wasser, die grünen Tabakfelder, die unberührten Naturschutzgebiete mit ihren Wasserfällen (nach drei Stunden auf einem Pferd tun einem am nächsten Tag übrigens Muskeln weh, von denen man gar nicht wusste, dass man/frau sie hat), die bunten Häuser in den Städten (und Che Guevaras Antlitz an jeder Ecke. Ich habe die Einheimischen gefragt, warum er eigentlich die grössere Ikone sei als Fidel Castro - Che war ja nicht mal Kubaner, sondern Argentinier. Und er war sogar Fidel irgendwann zu krass, weswegen er Kuba verlassen musste. Die Antwort: „Naja, Che ist doch einfach viel hübscher als Fidel“). Das alles lohnt sich, um auch mal ein bisschen länger nach Wasser zu suchen. 


Ich war ja vorgängig gewarnt worden, ich reise genau zur Hurrikan-Saison in die Karibik. Naja, dachte ich, wird ja wohl nicht grad einer kommen.

Falsch gedacht.

Natürlich kam einer, genau an dem Tag, an dem ich Kuba verliess. Mein Flug war der letzte, der noch termingerecht starten konnte. Arschloch Ian hat danach auf der Insel ganz schöne Verwüstungen hinterlassen, und die Menschen hatten danach noch weniger Strom und Wasser.

Ein Grund mehr, mich schlecht zu fühlen. Ich kann einfach kommen und gehen, wohin und wann immer ich will. Mein Pass und Budget erlauben mir das. Die Kubanerinnen und Kubaner sitzen aber praktisch auf der Insel fest und müssen alles erdulden, was ihnen Natur und Regierung antun. Natürlich hoffe ich fest, dass sich die Situation so bald wie möglich verbessert - und hoffentlich ohne Tote.

So oder so: Ich kehre sicher nochmals zurück. 

Aber jetzt bin ich eben in Panamá. Da ist es anders und doch irgendwie auch nicht. Mehr davon im nächsten Post.

Hasta luego!



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen