Neulich hatten der Latino und ich einen Streit.
Nein nein, freut euch nicht zu früh, es kommt jetzt keine ultradramatische Breakup-Story, so mit Geschirrwerfen, Türenknallen und Ehering an den Kopf Schmeissen und so (wir sind übrigens auch gar nicht verheiratet). Und ehrlich gesagt, war es auch kein richtiger Streit, mehr so eine sehr emotionale Debatte.
Squid Game ist schuld!
Und zwar ging es um das Thema Glücklichsein. Übrigens angeregt durch die Serie „Squid Game“ auf Netflix, die wir uns angeschaut haben. Achtung, Spoiler Alert: Wer sie noch nicht gesehen hat, sollte den nächsten Satz jetzt unbedingt überspringen!!!
Am Ende erklärt ja der alte Mann, warum es diese perversen Spiele überhaupt gibt – weil Stinkreiche extreeeeem gelangweilt waren. Geld macht also offenbar nicht glücklich. Kann ich voll nachvollziehen. Der Latino nicht, denn wer so viel Geld habe, könne doch machen, was er/sie wolle, das sei doch super. Mit Geld könne man/frau ja auch anderen Menschen helfen, alle Möglichkeiten stünden einem offen.
Ich sagte ihm, dass sich Superreiche sicher trotzdem innerlich leer fühlen könnten. Die Erfüllung lasse sich ja auch nicht einfach so kaufen. Viele wissen ja nicht mal, was sie erfüllen könnte.
Wir diskutierten so eine Weile, und irgendwann kam die Frage, ob wir selber denn glücklich seien?
Er ist es.
Ich bin es… manchmal? Nicht immer. Also, so grundsätzlich schon. Meistens. Es geht mir doch gut, ja. Aber es gibt Dinge in meinem Leben, die mich schon ab und zu belasten. Trotzdem lauf ich ja nicht den ganzen Tag gebückt und mit runterhängenden Mundwinkeln durch die Gegend. Selten. Und überhaupt: Was bedeutet das schon, „glücklich“….? Mir macht das Wort fast ein bisschen Angst, es klingt so makellos. Und was ist denn schon makellos in dieser Welt??
Unglück als Wohlstandsmerkmal
Der Latino versteht das nicht. Er findet, in so einem toll funktionierenden Land wie der Schweiz mit meinen Voraussetzungen hätte ich doch gar keinen Grund, unglücklich zu sein. Wo er eigentlich auch wieder recht hat. Aber tatsächlich, auch wenn der Mensch im privilegierten Teil der Welt geboren wurde, findet er doch immer wieder Sachen, die ihm nicht so gefallen. Oder eben keine Sachen, die ihm gefallen. Und das drückt dann aufs Gemüt.
Der Latino findet: Glücklichsein ist eine Entscheidung. Natürlich sei nie alles komplett picobello im Leben, aber man/frau könne sich doch einfach sagen: Trotz allem bin ich glücklich. Denn alles andere mache ja keinen Sinn.
Mag sein. Nur leider schaffen das nicht alle. Ich zum Beispiel. Ich kann mir nicht einreden: So, ich bin jetzt einfach glücklich, während um mich herum gerade Soddom und Gomorrha herrscht. Vielleicht ist das Soddom und Gomorrha auch nur in meinem Kopf. Oder in der Tagesschau. Aber das macht es nicht besser. Für mich, jedenfalls.
Der Latino findet das undankbar. Und auch ein bisschen typisch für Leute, die aus reichen Industrieländern stammen.
Züri West wissen auch nicht alles
Da hat er vielleicht auch recht. Trotzdem kann ich meine Gefühle nicht einfach so abstellen. In mir gibt es so eine Art Grundmelancholie, auch wenn mir wirklich bewusst ist, was ich alles Gutes in meinem Leben habe: Meine Gesundheit, mehr als genug Essen, Geld zum Raushauen, tolle Leute um mich herum, neue Stiefel, Godzilla – und natürlich den Latino. Ich bin wirklich sehr, sehr dankbar für all das – und mit über 40 Jahren meine ich das auch wirklich genau so, wie ich es sage, denn ich habe genug Beschissenes erlebt, um das Geile wirklich schätzen zu lernen.
Und ich bin glücklich mit all dem Guten in meinem Leben – und unglücklich mit all dem Schlechten.
Mit dem vermeintlich Schlechten, sagt der Latino.
„Irgendeinisch fingt ds Glück eim“ – mir kommt dieser Song von Züri West in den Sinn. Klingt nach einer Regel für alle. Da glaube ich aber nicht daran. Das Glück findet sicher nicht jede, jeden und jedes auf dieser Welt. Das Glück findet dich, wenn du Glück hast.
(Das hab ich jetzt aber wirklich schön gesagt, nicht? )
Ich brauche euren Rat
Aber muss man/frau denn überhaupt glücklich sein? Nichts bedroht mein Leben, ich bin frei, also bin ich gefälligst glücklich?
Wir sagen das ja immer so leicht: „Oh, du hast einen neuen Job! Bist du glücklich?“ oder „Wow, du hast Ferien, du Glücklicher!“
Aber sind wir deswegen wirklich gleich glücklich? Ich meine, so richtig MAKELLOS GLÜCHLICH? Reicht nicht auch zufrieden?
Oder bin ich einfach wirklich ein undankbares Arschloch?
Also, nicht, dass der Latino so etwas gesagt hätte, ich frage mich das jetzt einfach selber. Ich frage das euch.
Danke schon mal im Voraus für eure Antworten. Keine falsche Scheu, ihr dürft wirklich ehrlich sein. Ich bin nicht empfindlich.
Nur nicht glücklich, HAHA!!!!!!!
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