2 Uhr morgens, Mittwoch.
Jetzt reicht's!
Ich bin gerade aufgewacht, unfreiwillig, ich zögere keine Sekunde und springe schlaftrunken aus dem Bett, taumle zur Haustür (der Kreislauf will noch nicht so richtig), hinaus ins Treppenhaus, einen Stock höher, die Sicht verschwommen wegen der verklebten Augen, und klingle beim Nachbarn, der direkt über mir wohnt. Hinter seiner Tür höre ich mindestens sechs verschiedene Stimmen, dazu schlechte Musik, ausserdem steigt mir Geruch von frisch gekochtem Essen in die Nase, es scheppert aus der Küche.
Er macht auf, schaut mich mit grossen Augen an, als stünde ich nackt vor ihm.
Ich hole sofort aus: "Ja, gopferdammi namal, händ Sie mal uf d Uhr glueged, mir müend da ine im Fall alli früeh uuf morn, Sie villicht nöd, aber dasch mir eigetlich egal, das gaht eifach nöd, dauernd dä Krach, ich bin ja würklich tolerant, aber sie chönd nöd jedi zweit Nacht ihri Möbel umstelle, was mached Sie da eigetli, Feng Shui oder was, und überhaupt, weiss d' Verwaltig eigetli, dass sie öppe s Zähte hööch da ine wohned, das isch ganz sicher nöd erlaubt, genau so wenig wie Staubsuuge am Sunntigmorge, das mached Sie au IMMER, und wenn ich frei han, dänn schlaf ich dänn gern mal uus, aber wänn Sie genau über mim Chopf staubsuuged, dänn tönt das so, als würded Sie das grad näb mim Bett mache, ich bin ja würklich tolerant, aber echli Respekt chönd gfelligscht au SIE zeige, sie wohned nöd elei i dem Huus, und die andere Lüüt da ine händ sich nämli au scho beschwert über Sie, mues ich jetzt würklich au no dä Verwaltig alüüte, will Sie sich nöd chönd zämenäh, und übrigens, mer chan Türe im Fall au zuetue, ohni z schletze Sau, und mer chan au in ere Luutstärchi telefoniere, ohni dass ich jedes einzelne Wort verstahne under ine, oder besser gseit, verstah würd, wänn ich ihri Sprach chönnt, und NEI, chömed Sie mir jetzt bloss nöd mit dem, ich seg en Rassischt, min Fründ isch im Fall Dütsche, ich bin UHUERE tolerant, und glaubed Sie mir, wänn ihren Bsuech dauernd bi mir lüüted, wänn Sie nöd dehei sind, demit ich en is warme Stägehuus inelahne, egal um welli Ziit, und wänn Sie dauernd irgendwelchi Drüräder und Go-Karts (wo sind eigetli die Chind? Han i no nie gseh!) eso vor dä Chällerstäge abstelled, dass mer aber au garantiert drüber gheit, dänn isch ihri Nationalität so zimlich s letschte, wo mich a däre ganze Sach interessiert, dänn find ich das eifach nur müehsam und respektlos, und ich bin ja würklich tolerant, Sie chönd au gern mal e Party schmeisse, so drümal im Jahr und am Wuchenend, aber nöd JEDI VERDAMMTI NACHT, und ja, ich weiss, dass Sie Schicht schaffed, aber ratet Sie mal: Ich au, und ich muess trotzdem nöd am Morgen am 2 min Huushalt mache und es Menü choche und mit mim gesamte Fründeschreis telefoniere, ich bin ja würklich tolerant, aber jetzt bin i gnueg lang uf d Schnurre ghocket, jetzt langet's mer eifach, ich wott endlich mal in Rueh PEEENNNEEEEE, händ Sie das jetzt begriffe oder muen i anderi Saiten ufzieh, gopferdammi nomal???!!!"
Er schaut mich immer noch ungläubig an und sagt kein Wort, seine Augen wandern an mir auf und ab, und da fällt mir plötzlich ein: Moment mal, ich bin ja tatsächlich nackt!
Denn ich schlafe meistens nur in Unterhosen, Pyjamas mag ich nicht so, ich fühle mich gerne frei im Bett, und da hab ich doch glatt vergessen, mir was anzuziehen, nachdem ich so sauer und im Halbschlaf aus dem Bett gesprungen war.
Also, jedenfalls hätte das genau so passieren können. Ist es aber nicht, ich habe nur meine Angstvorstellung beschrieben. Denn ich fürchte, es würde genau so rauskommen, wenn ich mal meiner Wut nachgäbe morgens um 2 und einfach ohne zu Zögern direkt vom Schlafzimmer zu diesem Typen raufstampfen würde.
Und genau darum mache ich es auch nicht.
Sondern ärgere mich lieber stillschweigend Nacht für Nacht unter meiner Decke.
Denn ich bin ja wirklich tolerant.