Mittwoch, 31. Juli 2019

109 Leider geil

Also, wie im letzten Post angekündigt nun: Flugshaming.
Gibt ja kein anderes Thema mehr hier in Tsüri. Liegt wohl auch daran, dass wir es einfach gut haben und uns deshalb überhaupt überlegen KÖNNEN, ob wir noch in ein Flugzeug steigen wollen oder nicht. Andere können sich das schlicht und einfach nicht leisten und müssen sich diese Frage gar nicht erst stellen.

Wer mich so ein bisschen verfolgt hat über die letzten Jahre, der weiss: Ich bin recht häufig unterwegs. Ich LIEBE das Reisen! Ja, eigentlich gibt es nichts Besseres.
Aber natürlich geht auch mir die Umwelt nicht am Arsch vorbei. Und in letzter Zeit kommen auch immer mal wieder so subtile Anstupser von aussen, so im Stil: "Ah, du gehst da und da hin, schön... also... fliegst du? ICH fliege ja nicht mehr..." 
Und JA, ich fliege oft und JA, ich gebe es auch zu. Allerdings habe ich mir nun natürlich auch, so wie viele andere, vorgenommen, öfters mal mit dem Zug irgendwo hinzufahren. Oder meinetwegen mit dem Schiff. Allerdings komme ich damit wohl kaum bis nach Japan oder Argentinien. Also, schon, aber ich habe 5 Wochen Ferien pro Jahr, die bräuchte ich dann wahrscheinlich schon allein für die Anreise. Und dazu mehr Lohn, weil Zugtickets oft teurer sind als Flüge, was total absurd ist. Ausserdem machen mich lange Zugfahrten wahnsinnig. Irgendwann weiss ich nicht mehr, wie mich unterhalten. Ich finde Züge langweilig, sorry. 
Aber noch mehr sorry: Ich will nicht auf gewisse Länder verzichten, nur weil sie zu weit weg liegen. Da bin ich nunmal eine egoistische Bitch! Ich will da hin gehen, wo es mich auch hinzieht, sonst kann ich sowieso gleich zu Hause bleiben. Ausserdem bin ich seeeehr der Meinung, dass es echt wichtig ist, wenn man auch mal ganz fremde Kulturen sieht und wie andere Leute auf dieser Welt leben müssen. Immer nur in der eigenen, komfortablen Bubble zu hocken, tut nicht gut - einem selber nicht und auch nicht dem Umfeld. 
"Die krasse Slums, häsch die au gseh?" "Ui nei, da gang ich doch nöd ane..."

Aber das ist wieder mal ein anderes Thema und wird auf einen nächsten Beitrag verschoben.

Ja, vielleicht müsste ich tatsächlich einfach viiieel weniger reisen, dafür dann länger und alles ohne Flugzeug. Allerdings werde ich so oder so meine Spuren hinterlassen: Auch Züge und Schiffe sorgen für Sauereien, für CO2-Ausstoss, für Abfall und Energieverschleiss. Vielleicht weniger als Flugzeuge, aber ich frage mich sowieso: Wie kann man so etwas überhaupt so genau berechnen? Jaaaa, eine Zugfahrt nach Rom sorge irgendwie für 4320 Tonnen CO2 und ein Flug nach Tokio für 6750014328 Tonnen... Echt, so genau kann man das erfassen? 
Ist ja auch egal, es ist sicher viel, daran zweifle ich nicht. 

Also, dann gar nicht mehr reisen.


Neeeeeeiiiinnnn, das kann ich nicht! FERTIG! Ich habe dieses einzige Leben, und ich will da einfach mehr sehen als nur das, was ich in Gehdistanz erreichen kann (und jemand so Unsportliches wie ich kommt nicht wirklich weit). Nicht reisen = Suizid. Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um zu Hause zu hocken. Da müssten wir die Zeit ja komplett zurückdrehen, da hin, wo die Menschen noch einfach draussen in der Natur lebten, ihr Essen von den Bäumen pflückten und nichts anderes taten, als sich fortzupflanzen. Das war wahrscheinlich auch der ursprüngliche Sinn des Menschen, aber sorry, we came too far now, so mit Häusern und Ackerbau und Internet will ich jetzt halt auch die Welt sehen - basta!
"Leider geil", um es wieder mal mit den Worten von Deichkind auszudrücken.

Und dazu kommt: Ich LIEEEEBBEEEE Flugzeuge!! Ich liebe Langstreckenflüge mit diesen kleinen, aber vielen Essensportionen und dem Film Schauen auf diesem kleinen Bildschirm in der Lehne des Vordersitzes und die lustigen Falttüren an den WCs, die komischen Produkte im Airline-Katalog, ich liebe es auch, wenn es ruckelt und schüttelt, und wie man unter den Füssen spürt, wenn die Räder ausgefahren werden - herrlich...!
Aber ja, das schlechte Gewissen fliegt immer mit. Es ist aber auch im Zug mit dabei und im Schiff. Die Batterie meines E-Bikes sei ökologisch auch böse, sagte man mir jüngst. 
Und nichts kann dieses schlechte Gewissen ausradieren, keine Kompensationszahlungen (die mache ich nicht mal, weil ich mir dann irgendwie so vorkomme, als würde ich mir eine weisse Weste KAUFEN), nicht mein Vegetarismus, mein Verzicht auf ein Auto, auf Plastik, etc. 

Und jetzt muss ich leider aufhören, weil ich einen Flug erwischen muss. Kein Witz jetzt. 

Ich habe nie behauptet, ich sei ein guter Mensch. Aber ich arbeite dran. Immer noch.




Dienstag, 16. Juli 2019

108 Fremdshaming

Letztens habe ich mich mal wieder aus der grossen Stadt herausgewagt und fuhr ins Engadin.

Ich sass also in der Rhätischen Bahn auf der Albula-Linie (für die, die diese nicht kennen: Die fährt von Thusis nach St. Moritz und gehört zum UNESCO Weltkulturerbe) und genoss die schöne Aussicht. 

Es ist ja nun nicht wirklich so, dass ich mich im Kanton Graubünden auskennen würde. Ok, eigentlich überhaupt ausserhalb der Stadt Zürich, das muss ich zugeben. Geografie war nie mein Lieblingsfach, und dazu kommt auch noch, dass ich andere Länder besser kenne als mein eigenes - Klimaschutz und Flugshaming ahoi! Aber dazu ein ander Mal mehr. 

Jedenfalls war mir erst klar, dass ich auf der Albula-Linie fahre und dass diese so speziell ist, als mich die nette Frauenstimme aus den Lautsprechern im Zug darauf aufmerksam machte, auf Deutsch und Englisch, wenn ich mich richtig erinnere. Jedenfalls  wurden die koreanischen Touristen mit mir im Abteil grad sehr nervös und drängten an die Fenster.
(Als ob ich Koreanisch könnte, aber ich behaupte das jetzt einfach mal, weil ich fand, sie klingen nicht wie Chinesen oder Japaner. Als ob ich auch diese Sprachen beherrschen würde, wink wink! Und als ob es nur drei Länder in Asien gäbe, aber egal...)
Und wenn ich dann jeweils so in einem anderen Kanton als in meinem eigenen unterwegs bin, dann gebe ich mir seeeeehhr Mühe, eben nicht wie diese Touristen zu sein und dass man mir mein Unwissen und Fremdsein nicht gerade ansieht. Am liebsten ginge ich gleich als Einheimische durch. Ein Unterfangen, dass gerade in der Schweiz nicht so easy ist, da es ja in jedem Kaff einen anderen Dialekt gibt. 
Bedeutet also einfach: am besten die Klappe halten.


Das tat ich dann auch schön in der Rhätischen Bahn auf der Albula-Linie.

Leider denken aber nicht alle Zürcherinnen und Zürcher so wie ich und mögen es, undercover zu reisen. Denn ein paar Reihen vor mir brüllte ein Landsmann von mir SEEEEHHR LAUT in sein Smartphone, so dass es auch ja ALLE im Bündnerland mitbekamen.

"JA, WEISCH, ICH BIN JETZT IM ZUG UF SAMEDAN!! HÄ??!! JA, SO I 20 MINUTE CHÖMED MER AA!! JAJAAA, GENAU!!"

Die Lautstärke war das Eine. Das Andere war: Er sprach Samedan genau so aus, wie es geschrieben wird. S-a-m-e-d-a-n. Mit Betonung auf der letzten Silbe. Same-dan.
Also, ich bin ja jetzt wirklich eine Züri-Tussi, aber sogar ICH weiss, dass das falsch ist. Sa-maadä sagt man. Oder Sa-meedä, je nach Dialekt. 

Und es war echt so ein bisschen Fremdschämen. Fremdshaming. Aber auch Schämen für das eigene Volk. Wie wenn du andere Schweizer in Indien triffst, die alles, was sie dort anfassen, erst mit dem mitgebrachten Desinfektionsspray behandeln müssen (weil, "die sind ja so dreckig dort"). Oder irgendwo in Afrika, und sie regen sich über die "Neger" auf. 

Und doch war es auch ein bisschen Genugtuung. Denn so eine schlimme, ahnungslose Unterländerin kann ich ja doch nicht sein, wenn ich wenigstens die Ortschaften in anderen Kantonen richtig aussprechen kann, oder?