Donnerstag, 3. Juli 2014

6 Irgendeinisch fingt ds Glück eim

Das singen Züri West, aber ich glaube, diese Weisheit stammt nicht von ihnen. Schon meine Grossmutter hat mir immer etwas ähnliches gesagt, damals, wenn sie mich, laut schluchzend an ihren Schoss gepresst, getröstet hat, weil ich mich mit einer Schulfreundin gestritten hatte oder so.  Und wer kennt sie nicht, die lässigen Standardsprüche wie "Du wirsch gseh, es chunnt alles guet, ich weiss es!" oder "Au für dich gaht emal irgendwo es Tüürli uuf!".
Ja, shame on me: auch ich habe das schon zu Leuten gesagt. Dabei kann ich gar nicht hellsehen. Und alle anderen auch nicht.
 
Aber was ist das denn überhaupt, das Glück? Und wie kommt man dazu?
 
Tja, ich weiss es nicht. Das einzige, was ich weiss, ist, ich bin ständig auf der Suche nach etwas Grösserem, Besserem. Dauernd quält mich dieser scheiss Gedanke, dass das doch unmöglich ALLES gewesen sein kann. Dieses Leben, das ich führe. Herrgott, da muss doch noch was anderes kommen!!
Ich bin eine Getriebene, ich kann nicht verharren im Hier und jetzt, ich muss ständig zu irgendwelchen neuen Ufern aufbrechen, und dann wieder zu anderen, und dann nochmals, und in jeder Ecke, unter jedem Stein wühle ich nach dem Sinn meiner Existenz. Wie ein gehetztes Tier eile ich durch die Welt, als sässe mir eine unsichtbare Gefahr im Nacken, und ich renne einfach in Panik immer weiter auf den Horizont zu, in der Hoffnung, dahinter sei etwas - ganz Tolles.
 
Nur eben: WAS DENN, ZUM HENKER NOCHMAL???!!!
Wie gut, dass wenigstens meine besten Freunde, die social media, dafür eine Antwort parat haben. Sie wissen ganz genau, was das Glück ist. Davon darf ich mich jeden Tag überzeugen, wenn ich den Computer aufstarte:
 
Glück ist zum Beispiel Essen.
Deshalb listen auf Facebook auch zahlreiche Gourmets tagtäglich jegliche Zutaten ihres Menus auf, natürlich zusammen mit einem Foto des vollen Tellers.
 
Glück ist Familie.
Oder weshalb sonst erhalten Schnappschüsse von Kind und Kegel (manchmal noch im Mutterbauch) die meisten likes, Herzchen und Kommentare wie "Soooo süüüüüssss!!!" und "Aaaaaaawww...!!"? Wer keinen Nachwuchs zu bieten hat, postet halt seine herzige Katze.
 
Glück sind Ferien. 
Blablabla checked in at Hilton Hotel New York on Foursquare, und dazu grad noch eine Weltkarte mit Pfeil und ein Selfie auf dem Times Square. Läck, der hat's gut, und ich hock hier im Büro! ARSCHLOCH!!
 
Glück ist Liebe.
Oder warum geben sonst alle ihren Beziehungsstatus im Online-Profil an? Im Profil-Fötteli ist der Partner oder die Partnerin dann meist auch noch grad mit drauf, weil Alleinsein ist ja eben scheisse. Individualität offenbar auch.
 
Glück ist Erfolg.
Wow, was ich doch für überaus kluge, toughe und sanierte Friends habe. Erstens hocken sie ja dauernd in den Ferien, da muss also schon mal Kohle vorhanden sein. Zweitens sind sie echt gefragt und beschäftigt, schliesslich verkünden sie ja jeden Tag "Auf dem Weg zur Arbeit", "Meeting time" oder "... ist stolz: erster Beitrag online!" Drittens können sämtliche Journalisten BR, Doktoren der Pädagogik und selbsternannten Kunstkritiker das Geschehen auf der Welt ihrem Fachgebiet entsprechend immer so treffend und vor allem unaufgefordert analysieren. Da vergisst man doch glatt, dass man auf Facebook oder Twitter ist und nicht im "Club" des Schweizer Fernsehens!
 
Glück ist die WM.
Wie da immer bei den Spielen mitgefiebert wird!! Und diese Selfies mit dem Schweizerkreuz auf der Backe, dem Tifosi-Shirt am Leib oder der Kolumbien-Flagge am Auto! Grossartig, wie man sich doch beim Fussball immer wieder auf seine Wurzeln besinnt und mit seinen "Landsleuten", die auf dem Rasen dem Ball hinterherrennen, mitfiebern kann! Und wie einen das auf wundersame Weise auch noch zu einem guten Menschen macht, weil einem doch plötzlich bewusst wird, dass es in diesem Brasilien unten ja nicht nur Sport gibt und neue Stadien, sondern auch ganz viele ganz arme Strassenkinder und bedrohte Fischarten im Amazonas. Und dann schickt man während dem Fussball-Kucken vor dem Fernseher einfach noch schnell ganz bequem ein paar Spenden-SMS an eine Hilfsorganisation  und fühlt sich super, weil man ja jetzt neben dem ganzen WM-Gedöns auch noch etwas wirklich Wohltätiges gemacht hat.
Also, wenn DAS nicht das Glück ist, dann weiss ich aber auch nicht!!!!
 
Dumm nur: da kann ich überall nicht mithalten.
Ich habe keine Kinder, keinen Mann in meinem Profilbild, nicht mal eine Katze, keine Essstörung (ämel keine, zu der ich öffentlich stehen würde), Fussball interessiert mich nicht und gespendet hab ich auch nicht.
Gut, Reisen immerhin, das tu ich doch regelmässig, da bin ich voll dabei, yeah! Ok, dann müsste ich also tatsächlich mega glücklich sein, sagt Facebook.
Hmmm...
Also...
Böh??
Aber wahrscheinlich bin ich ja dann auch nur glücklich, wenn ich eben gerade auf Reisen BIN, und das bin ich ja jetzt gerade nicht - nein,  ich hock zu Hause vor meinem verdammten Computer und tippe das hier ein. Und das kann doch VERDAMMT NOCHMAL einfach nicht alles gewesen sein, oder????!!!!
 
Warum also ist jeder um mich herum so unglaublich fucking GLÜCKLICH, nur ICH nicht???!!!
 
Ok, jetzt bloss nicht verzweifeln!
Social media alle wegklicken. So.
Ich darf wohl einfach die Hoffnung nicht aufgeben. Und mich vor allem nicht verkrampfen. Nicht suchen, einfach alles geschehen lassen. Denn diese Sprüche können doch nicht von ungefähr kommen, das kann nicht alles bloss erfunden sein, Züri West und mein Grossmami müssen doch irgendwo den Beweis dafür gesehen haben (und es war totsicher nicht auf Facebook, Instagram oder Twitter): Irgendwann ist es einfach da. Irgendwann geht eine Türe auf. Dann ist alles gut.
 
Irgendeinisch fingt ds Glück eim
Irgendwenn weisch wär d' bisch
Irgendwenn weisch genau wo de häre ghörsch
 
WEHE, wenn nicht!!!!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen