Donnerstag, 1. März 2018

83 Im Schussfeld

Letzte Woche wurde ich Zeugin eines Mordes.

Jupp, das können wohl nicht so viele Menschen von sich behaupten (zum Glück!). Aber tatsächlich habe ich das Beziehungsdelikt an der Europaallee aus nächster Nähe miterlebt. 

Der Zufall wollte es eben, dass ich mit einer Freundin auf dem Weg zum HB war. Wir schlenderten gemütlich schwatzend der neuen Zürcher Einkaufsmeile entlang, als wir es knallen hörten. Mehrmals.
Nun, niemand wurde unruhig oder so. Denn seien wir ehrlich: In Zürich knallt es ja oft mal. Irgendwer hat offenbar immer irgendwo irgendwelche Böller zur Hand und Freude daran, damit den Mitmenschen auf den Geist zu gehen. Aber da es dieses Mal ziemlich oft knallte, dachte ich noch: «Ok, du Arschloch, s isch Friitigmittag, hellliechte Tag zmittst i de Stadt – GIB’S DOCH ENDLICH UF!!»

Zirka 50 Meter vor uns stürmen dann plötzlich zwei Personen aufs Trottoir, es knallt weiter, und es sieht so aus, als würden sie sich verfolgen. Die eine verliere ich bald aus den Augen, die andere bleibt mitten auf dem Weg stehen, und da sehe ich, dass sie eine Waffe in der Hand hält.

Für den Bruchteil einer Sekunde schiesst es mir durch den Kopf, ok, wenn das jetzt so ein Typ ist wie der in Florida, dann sind wir jetzt ganz schön fucked.
Aber hey, wir sind in Zürich, und der Gedanke verfliegt sofort wieder. Ich gehe unbehelligt weiter, auf den Bewaffneten zu, kein bisschen nervös. Das ist einfach wieder irgend so ein durchgeknallter Idiot, der besoffen oder verdrögelet irgendwelche Spielchen spielt, denke ich. Wahrscheinlich findet er es aus irgendeinem unerfindlichen Grund geil, mit einer Fasnachtspistole seinen genau so verdrögeleten Kumpel zu verfolgen. Alles schon erlebt. Langstrasse, Baby!

Irgendwie hält er die Waffe aber seltsam.

Knall!

Er fällt zu Boden. Bleibt liegen. 

Voll theatralisch, so schlecht gespielt, echt!
Steh wieder auf Kumpel, es ist arschkalt auf dem Asphalt!
Steh auf!
Wann kommt die Kamera?
Ich und meine Freundin stehen eine gefühlte Ewigkeit einfach nur da und schauen. Nichts passiert. Totenstille. Von einer Panik, die ausgebrochen sein soll, wie verschiedene Blätter später schreiben, ist keine Rede. Es ist ja auch kaum jemand auf der Strasse. Es ist Mittag und Winter, die Leute sitzen im Warmen, am Essen.
Meine Freundin: «Du wottsch mer jetzt aber nöd öppe säge, das sind richtigi Schüss gsi?»
Ich: «Äch, nei, eh nöd… nä-ä… dä staht gad uuf, wirsch gseh. Irgend en Film oder so!»

Dann gehen aber links und rechts die Türen auf, Menschen kommen aus den Gebäuden und schauen auch ungläubig hin. Einer hat noch seinen Coiffeur-Umhang an.
Wir gehen noch näher.
Komm, steh jetzt auf!

Aber ok, so wie der daliegt, so ohne jegliche Körperspannung, das sieht wirklich auffällig… tot aus, irgendwie.
Jetzt geht ein Passant ganz nah hin und beugt sich über den Körper. Scheisse, Moment, es sind ja zwei Körper! Die andere Person liegt auch, sehe ich plötzlich. Und sie ist ebenfalls völlig bewegungslos.

Nur wenige Sekunden sind vergangen, meine Freundin zieht entschieden ihr Handy aus der Tasche.
«Ich lüüt jetzt dä Polizei aa!»
Aber die weiss schon Bescheid, und das Sirenengeheul hüllt uns ein. Schwer bewaffnete Frauen und Männer in Uniform rennen plötzlich herum, die Strasse ist verstellt mit Polizeiautos und Krankenwagen, der Raum wird mit weissorangem Band abgesperrt und wir weggeschickt. 


Tja, das also meine Wahrnehmung von meinem ersten echten Live-Mord. 

Ich dachte, das war ein Amoklauf oder Banküberfall, schliesslich geschah es ja direkt vor der UBS. Dass hier aber ein Familienvater seine Noch-Ehefrau und dann sich selber gerichtet hatte, erfuhr ich erst später aus den Medien. 
Und ich muss immer denken: Nur 30 Sekunden später, und ich und meine Freundin wären genau im Schussfeld gestanden. Es hätte sich nur eine Kugel verirren müssen… Ja, das hat uns an diesem Freitag ehrlich gesagt am meisten beschäftigt: Leck, wir leben noch! Was ein Glück wir doch hatten!

Aber jetzt, nur eine Woche später, finde ich es irgendwie gar nicht mehr so schlimm, dass ich tatsächlich mitangesehen habe, wie zwei Menschen durch Gewalt gestorben sind. Wahrscheinlich ist das ein Schutzmechanismus des Gehirns. Und vielleicht kuck ich auch einfach zu viel «Walking Dead» und «Game of Thrones». Abgestumpft.

Was mich aber beschäftigt, sind die zwei kleinen Mädchen, die das tote Ehepaar hinterlässt. Denn die stehen richtig im Schussfeld. Mit was haben die das verdient, ohne Eltern aufwachsen zu müssen? Und später jedem erklären zu müssen, ja, der Papi hat das Mami umgebracht und dann sich selber?

Ich wünsche den beiden nur das Allerbeste und ganz viel Liebe und Glück im Leben.

Donnerstag, 8. Februar 2018

82 Heimweh-Blasenschwäche

Ich erzähle euch heute mal etwas sehr Intimes von mir. Es geht ums Pipi machen.

Mir ist aufgefallen, dass ich immer dann GANZ DRINGEND aufs WC muss, wenn ich auf dem Heimweg bin und schon fast vor meiner Haustür stehe. Ich weiss nicht, wie das ein Psychologe jetzt erklären würde, aber offenbar hat meine Blase jeweils das Gefühl, sie könne sich jetzt wieder  entspannen wie bei einem Baby, denn es geht ja nach Hause, da sind wir doch ganz unter uns, da muss sie sich ja nicht mehr zurückhalten und den gesellschaftlichen Anforderungen anpassen, also am besten schon mal schön laufen lassen... jedenfalls mache ich mir immer fast in die Hosen, sobald ich meine Wohnung betrete. Tasche in die Ecke geschmissen, in Stiefeln, Mütze, Schal und Wintermantel in Richtung WC gerannt - erinnert mich jeweils so an Hollywood-Komödien à la Adam Sandler oder "Dumb and dumber".
Und dabei kommt es auch nicht drauf an, wieviel ich vorher getrunken habe, ob ich 5 Minuten oder 5 Stunden vorher pinkeln war, ob ich zu Fuss unterwegs bin, im Bus oder auf dem Velo, nö: Das Haus nähert sich, meine Blase meldet sich, ein ungeschriebenes Naturgesetz. Keine Ahnung, woher dieses Organ jeweils diese Unmengen von Flüssigkeit nimmt.
Ich bin auch ziemlich sicher, dass, wenn ich aus dem Haus gehen und dann sofort auf dem Absatz kehrt machen und die Türe wieder aufschliessen würde - ich müsste PIPI! DRINGEND!!!
Also, ich hab's noch nie ausprobiert, aber das werd ich jetzt mal.
So aus Neugierde.


Geht das nur mir so?
Was hat's mit dieser Heimweh-Blasenschwäche auf sich?

Das kann jedenfalls keine beginnende Alters-Inkontinenz sein, denn sonst müsste es mir ja den ganzen Tag so gehen, aber eben, es passiert nur immer auf dem Heimweg. Ansonsten kann ich das Pipi also super halten.

Fast zu gut. 

Ich gebe zu, ich überschätze mich da jeweils ein wenig. "Jojo, druckt scho chli, aber das gaht jetzt loooooocckkkeeeerrr no es Stündli!" - ähä.
Ich erinnere mich an die Umkleidekabine in Barcelona, wo ich doch tatsächlich mal in meine mitgebrachte Einkaufstüte machen musste, weil ich sonst beim Kleider Probieren einfach geplatzt wäre (hat man mir als Kind immer gesagt: "Wänn'd z lang verhebsch, dänn platzt der im Fall d Blase!!" - medizinisch fundiert oder pädagogische Brecheisen-Methode?). Kein WC der Welt wäre da noch nah genug gewesen, da hatte ich mein Glück wirklich total überstrapaziert.
Allein in einem Ruderbötchen auf einem Nebenarm des Amazonas musste ich mal in eine Flasche pieseln (das mit dem Treffen ist übrigens so eine Sache, wenn man kein Mann ist!) - ich wäre sicher nicht freiwillig ins Wasser gesprungen, um das Geschäft zu verrichten! Ich hab gesehen, was sich da so für Viecher tummeln! Ausserdem hätte ich es nie mehr allein in diese Nussschale zurück geschafft, das hätte zu einer kleineren Ausgabe des Costa Concordias-Unglücks geführt.
Kino ohne Pause - logo, muss ich aufs WC! Geh ich aber nicht, weil ich keine Sekunde des Films verpassen will. Den Ausgang der Geschichte lass ich hier offen...
Massage in Thailand - kaum lieg ich in Unterhosen auf dem Schragen, merk ich, dass ich muss. Weil es mir aber peinlich ist zu sagen "Excuse me, I have to get dressed again, I have to go to the bathroom, I was too lazy before!" halt ich einfach eine Stunde lang völlig verkrampft durch und kann mich KEIN BISSCHEN entspannen! 
Sitzung im Büro? Mein nervöses auf dem Stuhl Hin- und Hergewackel hat tatsächlich nichts mit Langeweile zu tun.

Trotzdem. Das alles kommt zum Glück ziemlich selten vor. Aber die volle Blase auf dem Heimweg leider täglich. 
Ich bin gespannt auf eure psychologischen, pathologischen oder astronomischen Deutungsversuche. Und auf eure eigenen Erfahrungen.

Schreib ich hier übrigens tatsächlich über meine Pipi-Gewohnheiten?

Gott, diese Welt ist nicht mehr zu retten!

Dienstag, 16. Januar 2018

81 Vegane Pornos

Ich verrate euch heute einen Fetisch von mir:

Ich kucke auf Youtube immer so Veganer-Vlogs. 
Aber PSSSSSSTTT!!!!

Ja, ich finde die tatsächlich besser als jeden Porno. Was gibt es Ästhetischeres und Sinnlicheres als schöne Menschen und leckeres, perfekt angerichtetes Essen? Ich sag euch: Niemand vereint diese beiden sexy Elemente so gekonnt wie die veganen Vlogerinnen. 

Ja, denn es sind tatsächlich fast immer Frauen, die ihr fleischloses Leben mit der Kamera festhalten: Sie sind allesamt jung, wahnsinnig gut aussehend und mit perfekten Körpern. Sie haben wahnsinnig gut aussehende Männer mit perfekten Körpern und eine Horde sehr süsser, unglaublich intelligenter Kinder.
Sie leben meist an exotischen, fancy Orten wie Hawaii, Australien oder Neuseeland oder jetten auf der Welt umher. Dabei passen ihre Besitztümer in einen einzigen Rucksack, denn so gut wie sie aussehen und so cool ihr Leben ist, da brauchen sie nicht auch noch materielle Dinge, um glücklich zu sein. Die Frauen tragen meistens auch kein Makeup, benützen kein Deo, oft nicht mal einen BH, nein, alles ist ganz Natur. Eben genau so wie ihr Essen. "Plant based". Auf den Tisch kommen keinerlei tierische Produkte. Aber ihre Mahlzeiten sind aufwendiger als jeder Sauerbraten. 
Und oft flüssig.
Was da eins Bananen, Mangos, Papayas, Datteln, Beeren, Spinat, Avocados, Chiasamen, Spirulina und "Barley Grass Powder" (keine Ahnung, was das ist, aber offenbar ein unentbehrlicher Superfood) zu cremigen Smoothies zusammengemixt wird! Das grüne oder violette Zeugs sieht jeweils so appetitlich aus, dass mir förmlich der Speichel tropft! Ich kapiere nicht, wie die das Gesöff jeweils so foodporn-like hinbekommen - ich hab mir letzthin auch eine Papaya in den Mixer geschmissen, es sah hinterher aus wie Kotze und schmeckte auch so. 


Serviert wird das ganze auch in allen Vlogs immer genau gleich: In übergrossen Marmeladegläsern mit einem Loch im Deckel, durch das man einen Strohhalm aus Metall steckt - natürlich wiederverwertbar, denn in einem anständigen Veganer-Haushalt auf Hawaii macht man natürlich keinen Abfall!
Zum Znacht gibt es dann Wraps aus Salatblättern, gefüllt mit viel Gemüse, Tempeh und Avocado, gewürzt mit "Cashew Butter" (wo um Himmels Willen kriegt man denn sowas?) und "Nutritional Yeast" (so eine Art gesundes Aromat). Oder Porridge mit Hafermilch, aufgepeppt mit 17 verschiedenen Früchten, Samen und zerdrückter Avocado. Oder auch Tofuburger im Sauerteigbrot mit selbst gemachten "Sweet Potato Fries" auf Avocadodip. Oder "Kale" (Wirsing?) in allen Variationen, als Salat, Chips, Saft. Und mit Avocado. Und zum Dessert Bananen-"Nicecream" mit Kokosflocken, Kakaostückchen und Hanfsamen. Auch dazu passt immer Avocado. 
Und alles immer in rauhen Mengen! Offenbar muss man ganze Berge essen, wenn man sich vegan ernährt, sonst fällt man vom Fleisch. Hauptsache zucker-, salz- und ölfrei, unverarbeitet und Bio, und alles hübsch drapiert wie auf einem Foto bei Betty Bossy. Zu Trinken gibt es selbst gemachtes Kombucha. Der Pilz, den sie zum Fermentieren züchten, sieht aus wie eine menschliche Plazenta und löst bei mir jeweils Würgereflexe aus, aber hey!, er ist gesund!

Jedenfalls krieg ich immer Hunger und Durst allein schon vom Zuschauen. Und ich staune immer, mit wieviel Liebe diese Vegi-Vloggerinnen mit den Lebensmitteln umgehen, wieviel Zeit und Energie sie nur schon in ein einziges Glas Saft stecken!

Gut, man muss dazu vielleicht sagen: Sie haben auch die Zeit dazu. Vegan-Vlog-Familien sind offenbar sehr traditionell: Der Mann arbeitet, die Frauen gebären zu Hause ihre Kinder gänzlich ohne Drogen, machen Yoga, bepflanzen den Garten, pflegen den Kombucha-Pilz - und filmen eben. Und am Wochenende (das sehr oft zu sein scheint auf Hawaii oder Neuseeland) stürzen sich alle auf dem Surfbrett in das türkisblaue Meer, wandern durch den malerischen Regenwald oder fliegen nach Bali. 

Ein perfekt durchdachter Lifestyle, in dem niemand auch nur eine Sekunde ein schlechtes Gewissen haben muss und alle immer strahlen wie Beznau 1 und 2.

Seit ich diese Vlogs kucke, trinke ich ständig Kombucha (vom Migros, nicht selbst gezüchtet!) und esse Avocados. 
Ich denke daran, meinen ganzen Besitz zu verkaufen, die BHs wegzuwerfen und mit einem Rucksack nach Hawaii zu ziehen, wo ich wunderschön, unendlich glücklich und gesund werde und Teil dieser veganen Pornos. 

Aber dann erinnere ich mich daran, wie ungern ich Gemüse schnipple und koche. 
Und vor dem Laptop ist es eben doch bequemer.