Donnerstag, 17. Oktober 2019

112 Wahl-Halloween

Jetzt verfolgen Sie einen wieder auf Schritt und Tritt, diese Augenpaare. An jeder Ecke hängen sie und starren einen an.
 
Nein, es geht nicht um Halloween, es geht um die Wahlplakate. Es ist ja Wahlkampf, und überall auf der Strasse setzen sich die Kandidierenden (=genderkonform!) in Szene. 
Und ich rede jetzt wirklich nur von den Plakaten mit den Menschen drauf, nicht die mit zerdrückten Globi (oder was ist die Mehrzahl von Globus? Globusse? Globüsser?) oder wurmbefallenen Äpfeln.

Und doch, eigentlich ist es wirklich ein bisschen wie Halloween, sogar besser, denn diese Porträtfotos sind ja echt so ein bisschen Horrorshow - und zwar durchs Band, von links nach rechts, Partei egal. 
Wahrscheinlich haben sie einfach alle den selben Fotografen. Ich stelle mir das ein bisschen so vor: 
"Also, Herr/Frau Soundso, händ Sie ihres Sakko scho aagleit? Guet, denn jetzt eifach unlocker anestah, d Schultere ganz liecht zu mir dreihe, grad i d Kamera luege und lächle. Das isch ganz wichtig: LUEGE UND LÄCHLE! GRAD! Und probiered Sie uf kein Fall, irgendwie natürlich uszgseh! Mached Sie's so stief wie möglich, das würkt seriös!"
Und die Fotomodelle haben natürlich alle ganz sicher DAS aus dem Schrank genommen, was sie JEDEN TAG tragen - ein grauenhaftes Deux-Pièces, einen totlangweiligen Anzug mit hässlicher Krawatte oder einen furchtbar altmodischen Blazer, und das alles in gedeckten Farben, weil: Bloss nicht auffallen! Bloss keine Freude an Mustern haben!  Ja, sie zeigen sich halt so, wie sie auch jeden Tag aussehen wollen: Zum Kotzen!
So ein Scheiss, echt! Kann mir jetzt keine sagen, dass sie sich so nur schon ins Tram getraut. Und ich glaube auch nicht, dass jeder männliche Kandidat im Anzug arbeiten geht, vor allem nicht, wenn er Landwirt oder Arzt ist. 

Überhaupt: Wieso muess es denn immer Blazer, Sakko oder Anzug sein? Weil es seriös wirken soll? Glaubhaft? 
Ist ein Mann im Trainer automatisch ein schlechter Politiker? Eine Frau im modischen Jumpsuit unfähig, Vorstösse im Parlament zu machen?
I doubt it. Und die Fotos wären doch so viel hübscher!
Ich jedenfalls könnte schon allein der Kleidervorschriften wegen nicht in den Nationalrat - ich würde mich so unwohl fühlen, dass ich mich nicht auf die Dossiers konzentrieren könnte. 
 
 
Ich überlege immer, wie man solche Wahlplakate etwas ansprechender und individueller gestalten könnte, abgesehen von den Klamotten (und übrigens auch von vielen Frisuren). 
Vielleicht muss der Kandidierende mich ja auch nicht immer direkt anschauen. Vielleicht müssen auch alle nicht immer stehen in diesen Fotos. Sie könnten grad irgendwas am Machen sein oder so. Fände ich schon interessanter. Und einen Unbekannten, der vielleicht gerade am Kochen ist, möchte ich spontan auch viel eher wählen als einen, der mich einfach freundlich anstarrt. 
"Was hat denn Kochen mit einem Wahlprogramm zu tun??", hör ich schon einige von euch jetzt denken. 
Ja, und was hat in die Kamera lächeln mit Politik zu tun?
Eben, auch gar nichts.
 
Zu den Plakaten kommen auch die zahlreichen Videos, die mir vorzugsweise auf social media ausgespielt werden. Da sprechen Rats-Willige in die Kamera und rattern ihre politische Einstellung runter. Ich schlafe jeweils schon nach 2 Sekunden ein. Ein bisschen unterhaltender sind die, die ihre Videos noch etwas inszeniert haben, zum Beispiel in Form eines Interviews oder eines Testimonials. Obwohl: Soll mich das jetzt wirklich überzeugen, wenn mir jemand seinen Freund, seine Chefin oder seinen Cousin als National- oder Ständerat empfiehlt?
Nö.
 
Fazit: Wahlwerbung hilft mir nicht bei meiner Entscheidung am 20. Oktober.
Dafür bei meinem Sinn für Ästhetik.

Gewählt hab ich trotzdem schon. Ich habe einfach meine Intuition mit dem Resultat von smartvote.ch vermischt und so einen Kompromiss geschaffen. Denn gibt es wirklich jemanden von all denen, die mir da vom Papier runter entgegenlächeln, der oder die genau das selbe will wie ich?
 
Nein, so einfach ist das Leben nicht. 

GEHT WÄHLEN, IST MEGA WICHTIG!!