Dienstag, 16. Juli 2019

108 Fremdshaming

Letztens habe ich mich mal wieder aus der grossen Stadt herausgewagt und fuhr ins Engadin.

Ich sass also in der Rhätischen Bahn auf der Albula-Linie (für die, die diese nicht kennen: Die fährt von Thusis nach St. Moritz und gehört zum UNESCO Weltkulturerbe) und genoss die schöne Aussicht. 

Es ist ja nun nicht wirklich so, dass ich mich im Kanton Graubünden auskennen würde. Ok, eigentlich überhaupt ausserhalb der Stadt Zürich, das muss ich zugeben. Geografie war nie mein Lieblingsfach, und dazu kommt auch noch, dass ich andere Länder besser kenne als mein eigenes - Klimaschutz und Flugshaming ahoi! Aber dazu ein ander Mal mehr. 

Jedenfalls war mir erst klar, dass ich auf der Albula-Linie fahre und dass diese so speziell ist, als mich die nette Frauenstimme aus den Lautsprechern im Zug darauf aufmerksam machte, auf Deutsch und Englisch, wenn ich mich richtig erinnere. Jedenfalls  wurden die koreanischen Touristen mit mir im Abteil grad sehr nervös und drängten an die Fenster.
(Als ob ich Koreanisch könnte, aber ich behaupte das jetzt einfach mal, weil ich fand, sie klingen nicht wie Chinesen oder Japaner. Als ob ich auch diese Sprachen beherrschen würde, wink wink! Und als ob es nur drei Länder in Asien gäbe, aber egal...)
Und wenn ich dann jeweils so in einem anderen Kanton als in meinem eigenen unterwegs bin, dann gebe ich mir seeeeehhr Mühe, eben nicht wie diese Touristen zu sein und dass man mir mein Unwissen und Fremdsein nicht gerade ansieht. Am liebsten ginge ich gleich als Einheimische durch. Ein Unterfangen, dass gerade in der Schweiz nicht so easy ist, da es ja in jedem Kaff einen anderen Dialekt gibt. 
Bedeutet also einfach: am besten die Klappe halten.


Das tat ich dann auch schön in der Rhätischen Bahn auf der Albula-Linie.

Leider denken aber nicht alle Zürcherinnen und Zürcher so wie ich und mögen es, undercover zu reisen. Denn ein paar Reihen vor mir brüllte ein Landsmann von mir SEEEEHHR LAUT in sein Smartphone, so dass es auch ja ALLE im Bündnerland mitbekamen.

"JA, WEISCH, ICH BIN JETZT IM ZUG UF SAMEDAN!! HÄ??!! JA, SO I 20 MINUTE CHÖMED MER AA!! JAJAAA, GENAU!!"

Die Lautstärke war das Eine. Das Andere war: Er sprach Samedan genau so aus, wie es geschrieben wird. S-a-m-e-d-a-n. Mit Betonung auf der letzten Silbe. Same-dan.
Also, ich bin ja jetzt wirklich eine Züri-Tussi, aber sogar ICH weiss, dass das falsch ist. Sa-maadä sagt man. Oder Sa-meedä, je nach Dialekt. 

Und es war echt so ein bisschen Fremdschämen. Fremdshaming. Aber auch Schämen für das eigene Volk. Wie wenn du andere Schweizer in Indien triffst, die alles, was sie dort anfassen, erst mit dem mitgebrachten Desinfektionsspray behandeln müssen (weil, "die sind ja so dreckig dort"). Oder irgendwo in Afrika, und sie regen sich über die "Neger" auf. 

Und doch war es auch ein bisschen Genugtuung. Denn so eine schlimme, ahnungslose Unterländerin kann ich ja doch nicht sein, wenn ich wenigstens die Ortschaften in anderen Kantonen richtig aussprechen kann, oder?


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