Samstag, 23. März 2019

103 Die Reinkarnation des Bösen

Neulich habe ich irgendwo im Internet einen Test gefunden, anhand dessen man seine eigene Bosheit feststellen konnte. Man musste 70 Fragen beantworten, beziehungsweise 70 Sätze bewerten, darunter so eindeutige wie "Ich bin der Meinung, anständig und bescheiden zu sein bringt einen im Leben nicht weiter" oder "Rache, von langer Hand geplant, gibt mir die grösste Befriedigung". 
Der Test sei von führenden Psychologen entwickelt worden und somit sehr aussagekräftig, stand dabei.

Ich war beim Ausfüllen deshalb auch wirklich sehr ehrlich und gab beispielsweise zu, dass ich es jemandem, der meeeeeeeega fies zu mir war, gönnen würde, wenn er durch die Abschlussprüfung fiele. 
Aber siehe da: Mein Resultat war nur sehr durchschnittlich.
Ich bin offenbar nicht sehr böse, sogar eher sozial eingestellt. 

Wenn das dieser psychologisch abgesicherte Test so sagt, dann muss das wohl auch so sein. Trotzdem bin ich sicher, dass der Teufel auch mich fest im Griff hat. Und manchmal ist er stärker als ich.

Jüngstes Beispiel: Ich bin auf meinem E-Bike unterwegs (siehe Post 101). Plötzlich tritt ein Typ genau vor meinem Vorderrad auf die Strasse, den Blick irgendwohin gerichtet, aber sicher nicht auf mich.
Ich mache eine Vollbremsung, so dass es mich fast vom Sattel haut! Proaktiv verziehe ich auch noch das ganze Gesicht zur Grimasse und kneife die Augen zusammen, damit ich den Aufprall auch ja nicht mitansehen muss. Meinen Puls fühle ich bis ans Gurgeli.
Aber es geht gerade noch mal gut, ich schätze, mein Vorderrad kommt so 2 Millimeter vor dem Knie des Mannes zum Stillstand. Und schliesslich bemerkt er mich auch und macht noch rasch so einen theatralischen Hopser rückwärts Richtung Trottoir - viel zu spät natürlich, aber naja.
Ich starre ihn jetzt mit weit aufgerissenen Augen an, schnaufe wie nach einem Marathon, alle Muskeln immer noch angespannt. Ich glaube, ich sehe aus wie die typische Protagonistin in einem Horrorfilm, die gerade alleine (!) im Dunkeln (!) die Kellertreppe (!!) runtergegangen ist und jetzt völlig unerwartet vor dem Monster steht.


Der Typ, Mitte 50, gepflegter Anzug, schaut mich auch so eine Sekunde lang in Schockstarre an, wie ein Reh im Scheinwerferlicht - dann entspannt er sich wieder und lächelt süffisant.
"Naja, s git Schlimmers, gäll?" Und als wäre sonst nichts passiert, macht er sich davon.

In mir brodelt ein Vulkan. Oder besser gesagt: Ich BIN ein Vulkan, und in einem Vulkan brodelt immer Lava, aber manchmal steigt diese auch und der Vulkan bricht aus.
Das ist jetzt der Fall, der Teufel in mir nimmt Überhand.
'S git Schlimmers', hat er gerade gesagt?? Das ist alles?? Keine Entschuldigung, nichts???
Die Lava schiesst aus mir raus, ein gewaltiger Ascheregen prasselt rund um mich auf die Strasse. Ich bin völlig enthemmt, habe keine Kontrolle über meinen Körper mehr.
Ich drehe mich um, zum fast überfahrenen Typen, der non-chalant weiter über die Strasse läuft, und es brüllt einfach so aus mir raus:

"UM DICH WÄR'S IM FALL NÖD SCHAD GSI!!!!"

Und dann lässt der Teufel meine Zunge wieder los, die Lava verschwindet im Inneren des Vulkans, und ich bin wieder Herrin über meine Körper.
Es ist nur eine Millisekunde vergangen seit diesem Satz, aber ich bereue ihn schon. Sofort drehe ich mich wieder um und trete in die Pedale. Schnell weg! Ich spüre den verdutzten Blick des Mannes in meinem Rücken, ich hab ein bisschen Angst, dass er mir hinterherrennt und mir eins in die Fresse haut. Also den Motor am E-Bike lieber noch eine Stufe höhersetzen!
'Oh mein Gott, Frau Bitterbös, wie konntest du nur so etwas sagen??', schiesst es mir durch den Kopf. 'Du bist die Reinkarnation des Bösen! Jetzt hast du es dir aber garantiert völlig versaut mit dem Himmel! Und für den Rest deines Lebens wirst du bestraft! Der Blitz wird dich treffen, der Blitz!!'

Drum: Ich glaube, der Test stimmt nicht.

Samstag, 2. März 2019

102 Nicht so der Gemälde-Typ

Ich glaube, ich bin ein Kunstbanause. 
Ja, ich wähle hier extra die männliche Form, weil ich nicht sicher bin, ob es eine "Banausin" überhaupt gibt. Und es klingt auch noch beschissener.

So oder so: Es ist nicht gut, weil "Kunstbanause" ist ein Schimpfwort. Und wenn man in einer Stadt wie Tsüri wohnt, dann hat man sich gefälligst für Kunst zu interessieren, um eine anständiges Socialite zu sein.

Nun, versteht mich nicht falsch: Ich stehe selber auf der Bühne, ich mache Videoclips und so, ein bisschen Kunst hab ich auch im Blut. Theaterstücke mit reihenweise Nackten und verrückten Kostümen schrecken mich nicht ab. Crazy Kreationen auf den Laufstegen, in denen die Models kaum laufen können, kann ich auch noch irgendwie beklatschen. Und so ein bisschen verstehe ich auch, dass es Leute gibt, die Helene Fischer gut finden.
Der Knackpunkt bei mir sind mehr Museen und Bilder, die Könige und Königinnen der Kunst, sozusagen. 
Und da muss ich jetzt leider zugeben: Ich bin einfach nicht so der Gemälde-Typ. 

Ich stehe jeweils davor, und eigentlich denke ich mir immer eine von drei Sachen.
Entweder: Wow, mega aufwändig, wer das gemalt hat, konnte wirklich etwas!
Oder: Nicht schön, aber auffällig. 
Oder: Drei Striche und ein Flecken? Kann ich auch!


Ich spüre jetzt, wie die Kunstfreunde unter euch auf den Tisch springen und mich zum Teufel wünschen (haha, dort bin ich wahrscheinlich schon, spart euch die Mühe!). Aber eben, ich bezeichne mich nicht umsonst als Kunstbanause/-in. Mir ist schon klar, dass nicht alle Bilder gefallen müssen, dass sie einfach etwas ausdrücken, die Handschrift des Künstlers oder der Künstlerin tragen oder ein Zeichen ihrer Zeit sind. Trotzdem verspüre ich nicht den Drang, sie anzustarren und dafür auch noch Eintritt zu bezahlen. Und ich möchte sie mir auch nicht an die Wand hängen. 

Das sorgt bei mir regelmässig für ein schlechtes Gewissen. Wenn andere wieder erzählen, wie toll der Monet im Kunsthaus sei oder ähnlich, dann denk ich jeweils: "Ich muss auch da hin und das auch gut finden." Aber soll ich euch jetzt etwas verraten? Ich war noch nie im Kunsthaus.
OH. MEIN. GOTT!!!!
Ja, ich war nur in der Kunsthaus-Bar, wenn das die Sache ein bisschen besser macht. Aber irgendwie zieht es mich einfach nicht hinein zu diesen Bildern. 
Ich war im MoMa in New York. 99% dort fand ich langweilig. 
Ich war im Louvre in Paris. Same thing.

Wer sagt eigentlich, welches Gemälde ein Kunstwerk ist und welches nicht? Weshalb ist die Mona Lisa mehr wert als das Porträt einer anderen Frau?
Wieso soll ein Banksy hübscher oder interessanter sein als das Werk eines Künstlers, dessen Gesicht man kennt?
Wieso will niemand Millionen ausgeben, wenn ICH auf einer Leinwand einen Farbkübel ausleere, bei anderen aber schon?

Keine Ahnung. Gemälde sind anders als Filme oder Songs, denke ich. Es geht nicht darum, dass besonders viele Leute öffentlich bekunden: "Das ist sooooo geil!" und die Downloads dann in die Höhe schnellen, sondern ein geiles Bild wird schon als geil verkauft. Oder so. 

So geht es mir jedenfalls mit Gemälden. Zu Fotos hingegen habe ich einen ganz anderen Zugang. Vielleicht, weil sie ein genaues Abbild der Realität sind. Fotos sind Fotos, da haben die porträtierten Menschen darauf keine schwarzen Ränder oder drei Augen oder so. Ein Foto von drei Strichen will sich auch niemand ansehen. Vielleicht sind Fotos einfach ehrlicher als Gemälde. 

Oder vielleicht bin ich halt einfach wirklich nur eine Kunstbanausin und habe keine Ahnung.