Mittwoch, 26. August 2015

30 Nach rechts geswipet

Vor ein paar Tagen am Central: während ich so mein Velo abschliesse, sehe ich, wie neben mir ein Mann auf eine Frau zugeht, die dort vor dem Starbucks steht und wartet. Beide sind so Anfang 30. Er hat ein verhaltenes Lächeln im Gesicht, die Hände lässig in den Jackentaschen, und sie wirkt ein wenig überrascht: "Oh, hallo, Soundso, da bist du ja!"

Und spätestens da weiss ich: Oh-oohh, akward TINDER-DATE!!!

Schnell die üblichen drei Küsschen, er behält die Hände in den Taschen. Ich sehe dann ganz genau, wie ihr Blick ihn blitzschnell einmal von oben bis unten scannt - offenbar hat sie jemand anders erwartet. Und er blickt so ein bisschen peinlich berührt an ihr vorbei auf die Strasse, als wäre da grad was total Interessantes vorbeigefahren, ein goldenes Tram oder so.
Die beiden gehen davon, brav nebeneinander, mit einem kleinen Sicherheitsabstand dazwischen, und er immer noch mit den Händen in den Taschen. 

Ich verliere sie aus den Augen. Gott, ich wäre jetzt sooooo wahnsinnig gerne unsichtbar, um ihnen unbemerkt folgen und alles Weitere mitbekommen zu können! Ich kann mich aber nicht unsichtbar machen und ein kranker Stalker bin ich auch nicht, also muss ich mir den Rest des Dates in meiner Fantasie ausmalen:
Sie setzen sich also in ein Kaffee in der Nähe. Sie ist schon ein bisschen ernüchtert, denn irgendwie sah er auf den Tinder-Fotos besser aus als in Natura. Und auf denen hatte er auch noch Haare. 
Er hingegen findet sie heiss, blond war schon immer sein Fall. Aber dass die so klein ist? Um die 1.70m wär ihm lieber. Und dann nervt er sich auch noch, als sie sich ein Cüpli bestellt - so ein scheiss Tussi-Gesöff!, schiesst es ihm durch den Kopf. 
Er nimmt dafür einen frischen Pfefferminztee - und sie kriegt grad voll die Krise: Oh nein, so ein scheiss Gesundheitsapostel!
Das Gespräch dreht sich erst ums Wetter und den hinter sich gelassenen Arbeitstag. "Ah, interessant, ich wusste ja gar nicht, was Projektmanager so machen!"
"Ja, und wie ist das so als Sozialpädagogin, noch stressig?"
Seine Stimme hatte sie sich eigentlich ganz anders vorgestellt, irgendwie tiefer.
Ihm gefällt ihr Nagellack nicht. 

Das Gespräch geht in die nächste Phase: Familienverhältnisse.
Sie hat zwei ältere Brüder, das findet er noch cool. Vielleicht zwei neue Gspändli zum Zocken an der Konsole?
Er hat eine jüngere Schwester, beide sind bei der Mutter aufgewachsen. So viel Weiblichkeit hat ihm sicher gut getan, denkt sie sich, da kann er wenigstens mit Frauen umgehen. Nicht so wie die anderen Arschlöcher, mit denen sie sich in der Vergangenheit getroffen hat.

Sie bestellt eine Cola, er noch einen Pfefferminztee. Sie will ja nicht schon am ersten Tag unter dem Tisch liegen und leichte Beute für ihn sein, HA! Lieber aufpassen mit dem Alkohol. Er erklärt, dass er von Schämpis eben Sodbrennen bekomme. 
Sie überlegt sich, warum sie ihn im Tinder-Katalog damals eigentlich nach rechts geswipt hat. Ah ja, genau, weil er als einer der einzigen keine Fotos von sich beim Bergsteigen mit nacktem Oberkörper oder in engen Radlerhosen auf einem Mountainbike hatte.
Er überlegt sich dasselbe: nun ja, sie war eben blond und lachte so schön auf dem Bikini-Bild.

Sie fährt in den Ferien gern in den Süden, ans Meer. "Kälte, nein danke, da kannst du mich mit jagen!"
Er liebt das Skifahren. "Und die Polarlichter will ich auch mal noch sehen."

Langsam wird es spät. Man beschliesst, sich zu verabschieden und nach Hause zu gehen - also, jeder in sein eigenes. Bloss nicht schwach werden, denkt sie sich. Scheisse, denkt ER sich.
Klar, wolle man sich wiedersehen, unbedingt. "War cool, ja!"
Sie wartet drei Tage auf eine neue Nachricht von ihm. Dann schreibt sie selber. Sie treffen sich noch einmal, diesmal zum Essen.
Am dritten Date landen sie zusammen im Bett. Danach meldet auch sie sich nicht mehr.

Sie sind beide immer noch auf Tinder. Ihr Match besteht auch immer noch. Manchmal klickt einer den anderen an, um zu schauen, wann er zuletzt online war. Aber das ist auch schon alles.

Der Rest ist Swipen.





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