Dienstag, 19. August 2014

9 My very own Selfiegate

Ok, so viel hab ich in den letzten Wochen mal wieder gelernt: man soll keine Nackt-Fotos von sich verschicken, wenn man sich nicht seine Karriere und sein soziales Ansehen ruinieren will. Schon gar keine, die im Hintergrund den Arbeitsplatz zeigen, denn kein Arbeitgeber möchte ungefragt mit nackten Geschlechtsteilen in Verbindung gebracht werden, iiiiiiiiihhh! Nackt = unmoralisch = inkompetent, ganz klar.
Also, jedenfalls soll man das nicht machen, wenn man eine Machtposition besetzt und von öffentlichem Interesse ist. Oder wenn man dort arbeitet, wo sich die Mächtigen und öffentlich Interessanten bewegen. Und schon gar nicht, wenn man eine Visage hat, die fast jeder im Land kennt. Denn dann kommt man sofort in der Zeitung und im Schweizer Fernsehen im "Club" und muss sich rechtfertigen, warum man halt neben dem Pflichtbewusstsein gegenüber dem Volk auch noch so andere, stärkere Triebe hat, gegen die man sich im Sturm der Hormone nicht immer wehren kann. Die dazu führen, dass man sich neben dem festen Lebenspartner  halt heimlich auch noch ein paar Sex-Chats hält und sich hin und wieder zu so Sachen hinreissen lässt, die man nicht wie im Nationalratssaal mitgeschnitten haben möchte. Also, kurz zusammengefasst, man muss plausibel darstellen können, warum man ein normaler schwanz- oder muschigesteuerter Mensch ist. Und alle kucken zu. 
Ja, das ist ziemlich unangenehm, wenn nicht sogar einfach scheisse.
Aber das passiert ja zum Glück nur, wenn man wichtig und berühmt ist.  Denn, wenn keine Sau weiss, wer ich bin und ich kein öffentliches Mandat innehabe, für das mir die Bevölkerung ihr Vertrauen ausgesprochen hat, dann darf ich meinen nackten Körper ungeschoren in der ganzen  Weltgeschichte rumschicken.

Oder?
Ich opfere mich und mache die Probe aufs Exempel. Denn schliesslich kennt mich keine Sau und ich mache auch keine Politik und keine Kopien im Bundeshaus - kurz, ich bin ein Niemand.
Ich schiesse also mit meinem iphone ein Nackt-Selfie mit Duckface, dabei liege ich auf meinem Bürotisch, im Hintergrund sieht man das Firmenlogo. Und das schicke ich dann diesem Typen, der garantiert nicht mein fester Freund ist, aber das weiss niemand. 
Der freut sich über das heisse whatsapp und lacht und wahrscheinlich kuckt er es sich regelmässig an vor dem Einschlafen. Ansonsten passiert aber nichts. 
Ich erhöhe also den Druck und sag dem Typen, ich würde unsere Sexting-Affäre beenden, er solle doch bitte alle Bilder von mir löschen. Da kriegt er voll die Krise und weigert sich und droht mir, meine brisanten Selfies auf Facebook zu veröffentlichen. Als ich hart bleibe, macht er es tatsächlich, und so erscheine ich also wie Gott mich schuf auf der Timeline, sichtbar für alle seine 867 Friends und meine grad auch, denn er hat das Foto mit meinem Namen getagged. Ziemlich bald häufen sich  die Likes und Comments unter dem Bild, zum Beispiel: "Haha, einfach zuuuuuu geil!! :-))" oder "Du bisch son e Sau!!!" oder "Nicht schlecht, Frau Bitterbös" oder einfach  nur "Ui, neeeiiii!!" Und wir beide, die Ex-Affäre und ich, bekommen ein paar neue Friends-Anfragen, während auch ein paar alte Friends sich defrienden von uns. 
Irgendwann reagiert schliesslich Zuckerberg und löscht mein nacktes Ich, weil es nämlich pornografisch ist und somit nicht in die Philosophie von Facebook passt. 
Aber da haben es natürlich schon längst meine Arbeitskollegen gesehen, und es wird herumgereicht, bis es irgendwann der halben Firma bekannt ist. Mein Chef zitiert mich in sein Büro und sagt mir, das Ganze sei zwar meine Privatsache, aber nicht mit dem Firmenlogo hinten drauf. Ich könne mich also weiterhin nackt im Internet verbreiten, so viel ich wolle, solle mir für die Fotos aber gefälligst eine andere Location suchen. 
Wenn ich arbeiten komme, werde ich von den Frauen schief angekuckt oder hinter vorgehaltener Hand ausgelacht, während viele meiner männlichen Arbeitskollegen mit einem vielsagenden Grinsen an mir vorbeigehen und der eine oder andere mir sogar zuzwinkert. Klar, ich muss beim Kopierer und in der Kantine jedem Auskunft geben, ob ich mich denn nicht schämen würde und wie das nur habe passieren können. Das nervt, und ja, es ist mir peinlich, dass so einige Mitarbeiter in meiner Firma mein Nackt-Selfie jetzt heimlich als Bildschirm-Hintergrund haben. Dass sie jetzt wissen, wie ich ohne Kleider aussehe, wie gross mein Busen ist und wie das "da unten" genau aussieht. Wahrscheinlich haben sie in der gemischten Sauna schon viel mehr zu sehen gekriegt, aber trotzdem. Es ist ungerecht, weil nur SIE wissen wie ICH nackt aussehe und nicht umgekehrt. Sie haben mir deshalb etwas voraus und lassen mich das auch spüren, mit Spott und Häme. Arschlöcher!!

Nach ein paar Wochen ist der Spuk allerdings vorbei. Irgendwann hat auch der Hinterletzte das Foto tausendmal gesehen und es wird langsam langweilig. Nach einem Monat spricht in der Firma kaum mehr einer darüber, und auch privat und über die Social Media bekomme ich keine aufgeregten, schockierten oder angewiderten Mitteilungen mehr. Langsam kehrt der Alltag wieder ein, so wie er war, bevor mein Nackt-Selfie an die Öffentlichkeit gelangte. 
Anders als mein direktes und indirektes Umfeld haben sich die Medien die ganze Zeit einen Dreck um die ganze Geschichte geschert. Eine nackte unbekannte Züri-Tussi mehr oder weniger - who cares? ?
Meinen Job hab ich auch immer noch, trotz der Schelte meines Chefs. Meinen Freund bin ich dafür los.
Meine Mitarbeiter, meine Freunde, Familie und die Kassierer bei mir im Coop um die Ecke behandeln mich wieder ganz normal, ohne sich bei meinem Anblick gleich fremd zu schämen oder nervös rum zu kichern.
Und ich bin einfach wieder die Bitterbös und nicht die "Weisch, die Blutt deet vom Internet". 

Ok, ich hab gelogen: Der Nackt-Selfie-Selftest war nur erfunden (Freund und Affäre übrigens auch).  HAHA, voll reingefallen!!! 
Nein, aber ungefähr so stell ich mir das vor, würde ich ihn denn wirklich durchführen. 
Denn es ist doch einfach so: von mir und den meisten von euch da draussen erwartet niemand, dass wir perfekte Menschen sind. Von Politikern, Wirtschaftsbossen und sonstigen Machtmenschen aber schon. Das ist wohl auch nachvollziehbar, denn sie halten die wichtigsten Zügel in ihren Händen und entscheiden über vieles, das uns alle betrifft. In Wahlen, als Kunden und durch den Kauf von Aktien haben wir ihnen unser Vertrauen ausgesprochen. Insofern dürfen wir an diese Leute auch gewisse Ansprüche stellen, logisch. 
Aber nur, weil jemand seine Geschlechtsteile in der Öffentlichkeit zeigt, heisst das ja noch nicht, dass er seine Arbeit schlecht macht. 
Es heisst einfach nur, dass er ein bisschen dumm ist, naiv und seinen Hormonen ausgeliefert - ein normaler Mensch halt. Was soll ich da einen Shitstorm starten? "Boah, Politiker und Bundeshaussekretärinnen sind tatsächlich reale Menschen, wääääähhhhhh!!!"??
Glaub nicht.
Erst wenn jemand sein Schnäbi oder seinen unechten Busen seiner eigentlichen Pflicht, dem Land und dem Volk zu dienen oder einfach seine verdammte Arbeit gut zu machen, vorzieht, wenn er lügt und seine Machtposition missbraucht - dann hab ich echt ein Problem.

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