Dienstag, 17. Juni 2014

4 Die WM aus der Sicht einer Ball-Proletin

Jep, auch ich springe noch auf den WM-Zug auf, also, so rein textuell, jedenfalls. Sorry! Nicht grade einfallsreich, ich weiss, aber es führt zur Zeit einfach kein Weg am ach so wichtigen Fussball-Grossanlass in Übersee vorbei, was soll ich da also etwa über Lieblingsessen oder -Sex-Stellungen schreiben - interessiert ja grad keine Sau!
 
Damit wir das gleich am Anfang geklärt haben: Ich habe keine Ahnung von Fussball. Ich kenne kaum die Regeln, und eigentlich ist mir auch scheissegal, wer gewinnt und wer verliert. Ausserdem finde ich Bier kotzgruusig und esse keine Bratwürste, da Flexitarierin. 
Aber ich bin Voyeurin und vertiefe mich liebend gerne in soziale Studien - und wo kann ich diesen Leidenschaften wohl am allerbesten fröhnen? Genau, in Public Viewings!  Damit ist auch für eine Ball-Proletin wie mich klar, was sie bis Mitte Juli am Feierabend macht: WM glotzen.
Ich wohne gäbigerweise auch grad inmitten des grössten Zürcher Public Viewings, nämlich im Kreis 4. Wo man dort auch hinkommt, an jeder Ecke Freiluft-Bildschirme, Flaggen, ein paar Tische und Bänke und eine Gruppe Menschen in bunten, nummerierten T-Shirts. Da kann ich mir also jeden Tag einen neuen Aufenthaltsort aussuchen. Oder mich einfach mitten auf die Langstrasse stellen und mich wie in einem 3-D-Kino von allen Seiten berieseln lassen. Das ist sowieso die spannendste Variante, weil man so am besten merkt, welches Lokal in den schnellsten TV-Anschluss investiert hat: fällt ein Goal, dann geht das Geschrei erst links los, zwei Sekunden später rechts, und noch ein bisschen länger dauert es, bis auch vor und hinter einem die Bierdosen fliegen. Geil.
 
An den Spielen mag ich am meisten den Beginn mit den Nationalhymnen. Ich weiss nicht, aber mir steigen dann immer die Tränen in die Augen, egal, bei welchem Land. Ehrlich, jetzt. Es hat so etwas Erhabenes, Gewaltiges, Todernstes: da stehen diese Männer mit ihren Uniformen auf dem Feld, vor sich je ein herziges Kind, schlingen sich gegenseitig die Arme um die Schultern, blicken ins Leere und singen falscher als falsch mit (oder im Fall der Schweizer, machen eins auf Bauchredner). Die Hoffnung einer ganzen Nation lastet auf ihnen. Unsere Zukunft liegt in ihre Händen. Alles ist noch offen, alles möglich, niemand weiss, was in den nächsten 90 Minuten passieren wird (ausser die FIFA). Das ist soooo schön, SCHNÜFF!!!
Dann, beim eigentlichen Fussball, kann ich wirklich nicht mitreden. Ob die jetzt "schön", "dynamisch" oder "elegant" spielen, keine Ahnung. Eine Schwalbe ist für mich ein Vogel. Das mit dem Abseits hat man mir sicher schon 32049mal erklärt, ich kann es mir aber einfach nie merken. Beim kollektiven Buhen und Aufstöhnen nach einem angeblich falschen Pfiff des Schiedsrichters oder einem offenbar übersehenen Foul mache ich trotzdem mit. Da kann ich mich nicht mal dagegen wehren, das kommt einfach, ganz automatisch.  Das ist ein bisschen so, wie an einem Konzert, wenn plötzlich alle im Takt mitklatschen, da bleibt man ja auch nicht als einzige mit verschränkten Armen stehen.  
Anders ist es bei einem Goal: Da kommt mein Freudenschrei wirklich ganz ohne Gruppenzwang tief und rein direkt aus meinem Herzen. Ich weiss nicht, aber darum geht es doch bei einem Fussball-Spiel, nicht wahr? Ums Goal schiessen. Nur darauf warten doch alle die ganze Zeit gespannt, und diese Spannung lässt den ganzen Körper verkrampfen, und wenn dann das Runde endlich ins Eckige knallt, dann  löst sich das eben alles und muss raus, mit einem lauten, erleichterten "JAAAAAAAAAAAAAAAAAA!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!". Also, jedenfalls dann, wenn die "richtige" Mannschaft ein Goal macht. Nämlich die, auf die ich im WM-Toto gesetzt habe. Jup, da spiel ich dann eben doch mit, auch als totale Fussball-Banausin. Schliesslich hätte ich an ein bisschen Sackgeld nichts auszusetzen. Und ich habe mir versichern lassen, man müsse gar keine Fussball-Expertin sein, um Toto spielen zu können, schliesslich sei das eh nur reine Glückssache. Stimmt auch wieder. Ich wette, bei Spanien-Holland hatte niemand auf der ganzen Welt 1:5 getippt...
 
 
 
Überhaupt überlasse ich das Expertentum in den Public Viewings sowieso lieber anderen. Schliesslich gibt es dort ja schon genug doktorierte Fussballisten, da kann ich nicht mithalten. Ich bin ja schon immer ganz neidisch, wenn die die Spielstrategie der Mannschaften so genau einschätzen können und vor ihrem geistigen Auge die Linien auf dem Spielfeld richtig ziehen. Da bin ich immer unheimlich dankbar, höre ich nicht nur einen Fernsehkommentator aus dem Off, sondern hab auch noch einen aus Fleisch und Blut direkt neben mir, der mir ungefragt seine Spielanalyse ins Ohr brüllt und mir vor lauter Gestikulieren auch noch gleich sein Quöllfrisch in den Ausschnitt schüttet.
Ich persönlich achte bei einem Fussballspiel  - nein, nicht auf die Waden - sondern auf die Mimik der Spieler. Die kriegt man heutzutage ja auch super mit, dank bombastischer Nahaufnahmen und HDTV. Ich mache mir jeweils einen riesigen Spass daraus, die Lippen der Spieler zu lesen und ihnen die passenden Worte dazu in den Mund zu legen:
"Hey, you touched the ball with your hand!"
"Shut up, you asshole, or I will touch YOUR balls with both of my hands!!"
"Hey, referee, this guy called me an asshole! Show him the red card, NOW!!"
Ich liebe es!
 
Und dann warte ich auch immer sehnlichst auf etwas Situations-Komik abseits des Spielfelds, und ich werde nur selten enttäuscht. Da ist zum Beispiel Hanspeter Latour, der vor lauter Schreien schon ganz rot ist im Gesicht. Er hat leider immer noch nicht verstanden, dass es nur für IHN laut ist im Stadion, nicht aber für die Fernsehzuschauer zu Hause (bitte, gebt ihm während der Interviews doch endlich mal Kopfhörer!). Oder die manchmal leider viel zu tiefen Einblicke in das Gehirn einiger Kicker-Stars: "Wie gefällt es Ihnen hier in Brasilien?" - "Oh, sehr gut, aber es ist auch ein bisschen schwierig, kaum einer von uns spricht Spanisch." Aha.
Ja, da stehen wir also alle jeden Abend um diese Freiluft-Fernseher und kucken die Spiele und trinken Bier und Apfelwein und haben uns alle lieb, Fussball-Fan oder nicht. Dabei hatten wir doch vor der WM noch lautstark gegen diese böse FIFA protestiert, die den armen Leuten in Brasilien schliesslich ihre baufälligen Hütten weggenommen hat, um neue Stadien in die Landschaft zu knallen. Den grausamen Despoten Blatter wollten wir absetzen, der doch eine korrupte Sau ist und nur mit "Monsieur le président" angesprochen werden will.
Aber kaum die T-Shirts der Lieblings-Mannschaft übergestülpt und ein bisschen Alkohol im Blut und das erste Goal gefeiert, schon ist dieser Groll vergessen. Und das einzige Problem für uns ist jetzt nur noch: möge der Beste gewinnen!
Also, nicht der, den die FIFA als Weltmeister will, sondern der, den ICH im WM-Toto als Sieger getippt habe.

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