Montag, 26. Mai 2014

1 Hallo, Friends!

Letzthin fahre ich mit dem Velo auf der nächtlichen Langstrasse zu diesem 24-Stunden-Shop, der immer sämtliche hungrigen und durstigen Nachtschwärmer anzieht. Ich brauche dringend Zucker. Ich parkiere mein Velo also direkt vor dem Schaufenster des Shops und schliesse es ab. Neben mir tut es mir ein anderer gleich, wir richten uns gleichzeitig von unseren Kettenschlössern auf und unsere Blicke treffen sich kurz.
Ich erkenne ihn. Gut, mir fällt sein Name nicht grad ein, aber ich erkenne ihn.
Er mich nicht. Jedenfalls geht er wortlos an mir vorbei.

Mit der Schokolade zu Hause logge ich mich sogleich auf meinem Laptop ein, denn ich weiss: der Typ und ich, wir sind Facebook-Freunde.
Ah, da ist er, genau! Wie konnte ich den Namen nur vergessen! Vor noch nicht so langer Zeit hatten sich eine Freundin und ich mit diesem netten Herrn so einige Zürcher Nächte um die Ohren geschlagen. Sie kam ihm dabei etwas näher als ich. Jetzt verbindet sie nicht mehr allzu viel mit ihm. Und mich gar nur noch Facebook.
Krass, nicht, diese modern times? Man ist verbunden auf einem Online-Portal, auch wenn man sich im realen Leben nicht mal mehr grüsst.  Gut, man kann sich natürlich einfach "unfrienden". Aber das gilt als ziemlich unhöflich.
Egal, nach diesem nächtlichen Treffen an der Langstrasse ist es wohl mal Zeit, meine Liste an Facebook-Freunden durchzugehen.

Da wäre also A. Vor x Jahren kennengelernt, irgendwann in den frühen Morgenstunden in einem  Zürcher Club, der heute längst geschlossen ist. Ein einziges Mal hab ich mit dem geredet. Trotzdem weiss ich, dass er mittlerweile Vater ist. Irgendwie herzige Fotos das, den kann ich nicht unfrienden, das bring ich nicht übers Herz.

Oh, und hier B. Mit der war ich mal in der Schule. Seither habe ich sie nie mehr live gesehen, weiss aber, dass sie heute Mitglied einer bürgerlichen Partei ist. Daraus macht sie in ihren Posts auch keinen Hehl und nervt regelmässig mit konservativer Propaganda. Aber ich weiss nicht, die gemeinsame Schulzeit verbindet doch irgendwie...

C. Wir waren mal kurz Arbeitskollegen. Ich fand ihn einen Riesen-Löli. Wieso also sind wir eigentlich überhaupt Friends? Hmmm... Comon, jetzt mach schon, Bittersüss, drück den Button! Ok, unfriended!

Der D nervt auch regelmässig. Jeden Tag tausende Posts über sein langweiliges Leben. "Hallo, ich esse grad das, ich kucke grad diese Serie, ich bin grad in den Ferien." Dazu unzählige schlechte Hipster-Selfies, die von seinen genauso langweiligen Hipster-Friends fleissig geliked werden. Naja, der tut mir irgendwie Leid, eine Unfriendung ist für den wohl eine persönliche Niederlage, eine Demütigung, ein Versagen. Den behalt ich mal lieber, der legt sich sonst noch vor den Zug...

Oh Gott, die E! Hält sich für unentbehrlich für diese Welt! Ich weiss ALLES über ihr Berufs- und Familienleben, weil es ist ja sooooooo speziell, unglaublich! Mein Lieblings-Foto von ihr ist das Ultraschall-Bild ihres ungeborenen Babys (gleich nach dem vom Hochzeitskuss). In 15 Jahren wird ihr ihre Tochter eins in die Fresse hauen, so wegen Datenschutz und so. Himmel, das Ganze ist so stupide, dass es schon fast wieder Kult ist. Wir bleiben Friends.

Dass die F gaaaaaanz dolle verliebt ist, weiss ich auch schon seit Jahren. Und wie das aussieht, wenn sie mit ihrem Typen auf dem Sofa knuddelt. Oder im Meer badet. Oder seine Eltern besucht. Oder ihm zum Geburtstag gratuliert. Ich würde sie soooo gerne schlagen - äh! - unfrienden, aber leider treffe ich sie regelmässig im realen Leben. Das könnte peinlich werden, deshalb lass ich es. Scheisse.

G, H und I. Verflossene Liebschaften. Wer weiss, kann man ja vielleicht irgendwann mal noch brauchen. Behalt ich also lieber. Ausserdem hab ich ja auch meinen Stolz. Einen Typen aus Facebook schmeissen, weil wir uns getrennt haben? Dann glaubt der ja wahrscheinlich noch, mir läge was an dem! YOU WISH!!

J, K, L und M sind Geschwister und Freunde von Ex-Freunden. Hab ich überhaupt keinen Bezug mehr zu denen, aber naja, sie haben ja schliesslich nichts dafür, gingen meine Beziehungen in die Brüche. Auch behalten. 


Ok, magere Bilanz. Grad mal eine einzige Unfriendung. Hab wohl einfach ein zu grosses Herz.
Jetzt sind auf meinem Profil also immer noch mehr als 300 Facebook-Friends übrig. Cool, ich muss ja unglaublich beliebt sein! Pure Love! Mir geht's super - virtuell.
Hmmm, weiss nicht. Irgendwie wären mir so Gespräche face to face und drei Küsschen und ein gemeinsamer Martini bianco und so viel lieber.
N, den Nachtschwärmer vor dem 24-Stunden-Shop an der Langstrasse, unfriende ich deshalb auch nicht. Das nächste Mal, wenn wir uns im realen Leben treffen, werd ich ihn ansprechen, nehm ich mir vor. "Hey, wir haben uns im Fall auf Facebook geadded, wir kennen und mögen uns also, darum: Hoi, wie geht's?"

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